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Gewisse Experten preisen die Contact-Tracing-App als wichtiges Mittel zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Doch bei den National- und Ständeräten gibt es zahlreiche Skeptiker, wie eine Umfrage zeigt. Der Bundesrat soll nun ein Gesetz vorlegen.

Das Signal ist klar: Der Bundesrat soll eine gesetzliche Grundlage schaffen für die sogenannte Contact-Tracing-App, die künftig helfen soll, Infektionsketten zu durchbrechen. Die Staatspolitischen Kommissionen (SPK) beider Räte haben zwei gleichlautende Motionen mit dieser Forderung eingereicht. Damit kann das Parlament diese Forderung in der ausserordentlichen Session nächste Woche beraten.

Die Vorstösse geben grundlegende Rahmenbedingungen für die geplante App des Bundes vor, die technisch eine Annäherung zwischen zwei Smartphones registriert. Als digitale Unterstützung des herkömmlichen Contact Tracing können mit der Anwendung Infizierte jene Personen warnen, mit denen sie in näherem Kontakt standen.

Die parlamentarischen Kommissionen verlangen nun, dass die Anwendung technisch so ausgestaltet ist, dass auf zentralen Servern keine personenbezogenen Daten gespeichert werden. Zudem soll die Benutzung der Smartphone-App freiwillig sein.

Die grosse Frage dabei ist, wie viele Personen in der Schweiz sich eine Contact-Tracing-App tatsächlich freiwillig installieren. Das Bundesamt für Gesundheit spricht von mindestens 60 Prozent der Bevölkerung, die sich beteiligen müssten. Allerdings ist diese Zahl umstritten.

Unter den Parlamentariern selbst käme dieser Wert wohl nur knapp zustande. In einer Umfrage der NZZ bei allen National- und Ständeräten gaben 55 Prozent an, sich vorstellen zu können, die Contact-Tracing-App zu installieren. Unter den Männern ist die Ablehnung etwas stärker als bei den Frauen. Teilgenommen haben knapp ein Drittel der Parlamentarier quer durch alle Fraktionen.

Interessanterweise sind die Vorbehalte gegenüber des digitalen Instruments in der lateinischen Schweiz stärker als in der Deutschschweiz. Dies obwohl in jenen Regionen deutlich mehr Personen an Covid-19 erkrankt sind. Bei den jüngeren Parlamentariern bis 45 Jahre sind die Vorbehalte bezüglich der Smartphone-App geringer als bei den ältern Ratsmitgliedern: Zwei Drittel können sich eine Installation vorstellen.

Überdurchschnittlich motiviert, die App auch selbst zu verwenden, sind Parlamentarier der Mitte-Parteien FDP, CVP und GLP sowie der SP. Während sich bei der SVP Unterstützer und Gegner etwa die Waage halten, überwiegt bei den Grünen gar die Skepsis gegenüber der Installation einer solchen App. 

Wer die Verwendung einer Tracing-App ablehnt, fürchtet oft einen Überwachungsstaat. «Meine Daten gehen den Bund gar nichts an», argumentiert etwa SVP-Nationalrat Marcel Dettling (Schwyz). Auch die Zürcher Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber von den Grünen führt die Privatsphäre an: «Ich will weder für mich noch für andere eine weitere Überwachung.»

Ein anderer Teil sieht die Technik als Chance. Zumal der dezentrale Ansatz der App eben keine zentrale Überwachung der Nutzer erlaubt, wie etwa Nationalrätin Katja Christ (glp., Basel-Stadt) betont. «Wenn wir in der aktuellen Krise nicht bereit sind, der Zukunftstechnologie eine Chance zu geben, dann ist das eine vertane Gelegenheit.» Auch Ratskollege Andri Silberschmidt (fdp., Zürich) glaubt: «Technologische Hilfsmittel sind ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung der Pandemie.» Auch wenn es daneben noch weitere Massnahmen brauche.

App muss freiwillig sein

So gespalten die Meinungen zur App sind, so einig scheint das Parlament bei der Frage der Freiwilligkeit. Dass der Bund die Installation einer Corona-Warn-App vorschreiben sollte, unterstützt praktisch niemand. Die vereinzelten Stimmen für ein Obligatorium kommen dabei von der CVP und der SVP.

Im Sinne von ausserordentlichen Massnahmen in ausserordentlichen Zeiten spricht sich CVP-Nationalrat Alois Gmür (Schwyz) für ein Obligatorium aus: «Der wirtschaftliche Schaden eines zweiten Lockdowns und deren Folgen für unseren Staat, gäbe ein finanzielles Debakel.» Deshalb müsse der Staat alles unternehmen, um das Virus zu verfolgen.

Bereits vor einer Woche hatte sich die Fraktionschefin der CVP, Andrea Gmür-Schönenberger (Luzern), auf Twitter entsprechend geäussert: Um volle Wirkung zu erzielen, müsse die Tracing-App während der akuten Notphase obligatorisch sein. Doch mit dieser Meinung ist Gmür-Schönenberger gemäss der NZZ-Umfrage in ihrer Fraktion klar in der Minderheit.

Aus Sicht des Eidgenössischen Datenschützers ist die Freiwilligkeit der App ebenfalls zwingend. «Ein Obligatorium wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Selbstbestimmung der Bevölkerung», sagt Adrian Lobsiger. Allerdings zählt für ihn auch, ob die App am Schluss vertrauenswürdig ist. «Wenn die App nicht benutzerfreundlich, verständlich und einfach zu bedienen ist, dann nützt auch Freiwilligkeit nichts.»

Um das wirklich zu beurteilen zu können, fehlen allerdings noch wichtige Puzzleteile. Technisch liegt die App vor, und sie verfolgt einen dezentralen Ansatz zur Datenspeicherung. Lobsiger hat datenschutzrechtlich nichts zu bemängeln. Auf Bundesebene ist zudem klar, dass das Bundesamt für Statistik das Datatrust-Center sein und die zentrale Infrastruktur betreiben wird.

Offene Fragen sind für Lobsiger aber zum Beispiel, wie die App heissen wird, welches Bundesorgan sie herausgeben und wie nutzerfreundlich sie sein wird. «Wir haben bis heute keine Testversion der App gesehen», sagt Lobsiger. Deshalb hat er Zweifel, ob das BAG den angekündigten Zeitplan einhalten kann, die App bis zum 11. Mai fertig zu bekommen.

Der Bund arbeitet an der rechtlichen Grundlage

Beim Bund arbeitet eine Taskforce an den offenen Fragen. Dazu gehört etwa die Definition der Prozesse um die App herum: Wer bestätigt, dass eine Person infiziert ist? Muss eine Person, die laut App in Kontakt mit einer angesteckten Person war, zwingend in Quarantäne?

Daneben laufen auch die juristischen Vorbereitungen. Wie aus der Verwaltung und den Kommissionen zu hören ist, prüft der Bund, ob das heutige Epidemiengesetz ausreicht als gesetzliche Grundlage. Oder ob der Bundesrat eine neue Notverordnung beschliessen muss. Allerdings sträubt sich das Bundesamt für Justiz dem Vernehmen nach gegen weitere Notverordnungen – die parlamentarischen Vorstösse könnten der Regierung jedoch eine Legitimation geben dafür.

Derzeit läuft bereits eine Ämterkonsultation innerhalb der Bundesverwaltung. «Kurzfristig wird es wohl eine Verordnung geben, die sich wahrscheinlich auf das Epidemiengesetz beziehen wird und die Rechtsgrundlage der App auf eine feste Dauer beschränkt», vermutet Lobsiger. Danach könne ein Erlass des Parlaments die Verordnung ablösen.

Bei diesem Vorgehen würde sich der Bundesrat auf Artikel 33 (Identifizierung und Benachrichtigung) und Artikel 60 (Informationssystem) des Epidemiengesetzes stützen. Entsprechend hat das Bundesamt für Gesundheit in der Sitzung der ständerätlichen SPK informiert. Dass diese Interpretation dem Sinn des Gesetzgebers entspricht, haben dem Vernehmen nach jedoch mehrere Kommissionsmitglieder bezweifelt.

Gedanken über die Zukunft machen

Für den Kommissionspräsidenten Andrea Caroni (Appenzell-Ausserrhoden, fdp.) wäre eine Notverordnung allerdings auch nicht im Sinne der Motion, wenn auch formell nicht ausgeschlossen. «Für die Umsetzung unseres Vorstosses braucht es ein dringliches Bundesgesetz, dass der Bundesrat bis zur Juni-Session vorlegen muss.» Er sieht als bestes Vorgehen eine dringliche Anpassung des Epidemiengesetzes, weil damit die Rechtsgrundlage auch für künftige Pandemien bestünde.

Was mit der App geschehen soll, wenn die Corona-Krise vorüber ist, ist eine wichtige Frage. Ein Erfolg der App könnte Begehrlichkeiten von verschiedenen Seiten wecken. Das glaubt zumindest der Datenschützer Lobsiger: «Wenn sich diese Technologie bewährt, werden Überlegungen kommen, ob man sie nicht auch im sicherheitsbehördlichen Bereich anwenden kann.» Deshalb müsse die Verwendung der App zunächst befristet sein. Und die Folgen einer Zweckänderung müssten bedacht werden.

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