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Es hat Jahre gedauert, bis das Parlament endlich einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative hatte. Nun sieht es danach aus, als ob all die Arbeit für nichts war. Kann das gut gehen?

von Philipp Loser & Dominik Feusi

Man sieht sie in Pratteln, im Emmental, in Mettmenstetten, in Zürich, in Rüti bei Büren oder in Zofingen. Über Auffahrt war Balthasar Glättli, designierter Präsident der Grünen, in der Ferienwohnung seiner Schwiegereltern in Weggis – und auch dort hing sie.

Die orange Fahne der Konzernverantwortungsinitiative ist in den vergangenen Jahren zu einem Bestandteil des Stadtbilds geworden. Des Agglobilds, des Landbilds. Sie hängt an Orten, wo man es nicht vermuten würde. Sie ist oft schon etwas verblichen und zerfleddert und schief.

Doch sie hängt.

45’000 Fahnen hat das Komitee der Konzernverantwortungsinitiative in den vergangenen Jahren verteilt. Bis zur Abstimmung, so hoffen die Initianten, werden es noch einmal doppelt so viele sein. In leuchtendem Orange. «Aus Campaigner-Sicht muss ich sagen: Chapeau. Es ist faszinierend, wie die Kampagne die Spannung über Jahre halten konnte.»

Das Prunkstück

Balthasar Glättli sitzt entspannt auf der Terrasse der Bernexpo, des Ersatzbundeshauses. Er ist gerade zwischen zwei Jobs, das Fraktionspräsidium der Grünen hat er abgegeben, Parteipräsident wird er erst in zwei Wochen, und was die Konzernverantwortungsinitiative angeht, ist er, der Grüne, natürlich Partei. Die Initiative, mit der Schweizer Konzerne für ihre Verfehlungen im Ausland haftbar gemacht werden sollen, ist das aktuelle Prunkstück der linksgrünen Schweiz. Kaum eine Initiative hat die Gegenseite schon zu einem so frühen Zeitpunkt so nervös gemacht, kaum eine Initiative hat zu einem so frühen Zeitpunkt eine so grosse Unterstützung. Über 100 Menschenrechtsorganisationen stehen hinter der Idee, ein Wirtschaftskomitee, unzählige bürgerliche Politiker, die Kirchen. «Diese Initiative gewinnen wir. Davon bin ich überzeugt», sagt Glättli.

Er sagt das am Mittwoch, einen Tag bevor sich die beiden Kammern des Parlamentes auf eine Formulierung einigen müssen, sofern das Gesetz nicht scheitern soll. Diese Konferenz ist ein erster Höhepunkt eines Ringens, das schon Jahre dauert:

Das ist die Ausgangslage vor der jetzigen Sommersession am Stadtrand von Bern, und schnell wird während dieser Session klar, dass beide Kammern bei ihrer Version bleiben werden. Patt. Die Einigungskonferenz muss entscheiden.

«Vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit.» SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt sitzt ebenfalls auf der Terrasse der Bernexpo, er wirkt etwas weniger entspannt als Balthasar Glättli (es ist das Naturell).

Vogt ist der Kopf hinter dem nationalrätlichen Gegenvorschlag. Der Rechtsprofessor hat gegen heftigen Widerstand und heftige Anfeindungen in der eigenen Partei ein Gesetz geschrieben, das die Initianten so überzeugte, dass sie ihre Initiative zurückgezogen hätten. Es ist immer noch der Tag vor der entscheidenden Einigungskonferenz, und Vogt redet von der «Beweislast» in seinem Gesetz, von einem möglichen Kompromiss. In letzter Minute ist ein neuer Vorschlag aufgetaucht, er stammt von Nestlé, wie die «Republik» später enthüllen wird, und er wäre immer noch so gut, dass die Initianten dafür aufgeben würden. «Die nächsten zwölf Stunden werden entscheidend sein», sagt Vogt.

Beat Rieder, CVP-Ständerat und entschiedener Befürworter des «Gegenvorschlag light» von Karin Keller-Sutter, sieht Vogt auf der Terrasse sitzen, nähert sich, gibt ihm die Hand und lächelt. «Das ist gelaufen. Der Ständerat ist gefestigt.»

Der Ständerat gewinnt

Rieder wird recht behalten. Die Einigungskonferenz vom Donnerstag entscheidet sich für den Vorschlag des Ständerats, gegen die Idee von Vogt, gegen die Idee von Nestlé.

Nächste Woche nun werden beide Kammern noch einmal einzeln abstimmen. Ein heikler Moment: Stimmen nicht beide Kammern dem Vorschlag der Einigungskonferenz zu, ist die Sache vom Tisch. Und genau danach sieht es im Moment aus: SP, Grüne und viele aus der SVP werden im Nationalrat gegen den ständerätlichen Vorschlag stimmen. Setzen sie sich durch, kommt es zu einer nackten Volksabstimmung. Ja oder Nein zur Konzernverantwortungsinitiative.

«Diese Initiative gewinnen wir. Davon bin ich überzeugt.»

Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen

Die Taktik von Karin Keller-Sutter wäre in diesem Moment nichtig, das Risiko für die Unternehmen hoch. Wer wird sich aus der Wirtschaft gegen die Initiative engagieren, wenn es keinen Gegenvorschlag mehr gibt?

Die Bürgerlichen geben sich betont entspannt, wenn man sie auf einen möglichen Abstimmungskampf anspricht. «Die Volksinitiative hat zahlreiche Schwachpunkte, mit der man sie bekämpfen kann», sagt zum Beispiel der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. Die Befürworter wollten eine Moraldebatte führen, doch im Abstimmungskampf werde es darum gehen, was die Initiative tatsächlich bewirke.

«Die Initiative hat vermutlich weniger Rückhalt in der Bevölkerung, als die Initianten zugeben.»

CVP-Präsident Gerhard Pfister

Ist ihm also egal, ob das Parlament einen Gegenvorschlag beschliesst? Silberschmidt winkt ab. «Ein Gegenvorschlag, wie ihn der Ständerat vorsieht, wäre natürlich hilfreich», gibt er zu. Ebenfalls auf einen Gegenvorschlag hofft Gerhard Pfister, der Präsident der CVP. «Natürlich hilft ein Gegenvorschlag, und die CVP hat sich immer dafür ausgesprochen», sagt er. «Es ist aber leider nicht gelungen, einen zu bauen, der die Initianten zum Rückzug der Initiative bewegt und keine schädlichen Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft hätte.»

Angst vor einem Abstimmungskampf hat aber auch er nicht. «Die Initiative hat vermutlich weniger Rückhalt in der Bevölkerung,als die Initianten zugeben.» Pfister wundert sich über das Verhalten der Initianten. «Es ist paradox, wie sie sich ins Zeug legen, damit der Gegenvorschlag des Nationalrates angenommen wird und sie die eigene Initiative zurückziehen können. Das muss damit zu tun haben, dass sie mehr Angst vor einem Abstimmungskampf haben, als sie zugeben.» 

Noch-SVP-Parteipräsident Albert Rösti hält nichts von der Debatte um einen Gegenvorschlag. «Ich brauche keinen», sagt der Berner Nationalrat. «Die Abstimmung kann man gewinnen.» Er fürchte sich nicht davor, der Bevölkerung zu erklären, dass die Initiative ein Bumerang für die Schweiz wäre. «Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise dürfen wir der Wirtschaft keine zusätzliche Regulierung aufbürden.»

Ein tragischer Held

Und damit wäre er lanciert, der Abstimmungskampf. Die Initianten verschickten nach dem Entscheid der Einigungskonferenz eine Medienmitteilung und zitierten darin Dick Marty, Alt-Ständerat und Co-Präsident des Initiativkomitees. «Ich bin sehr zuversichtlich, denn unsere Initiative fordert eine Selbstverständlichkeit», heisst es da. «Wenn Konzerne das Trinkwasser vergiften oder ganze Landstriche zerstören, sollen sie dafür geradestehen.»

Die Abstimmung wird voraussichtlich Ende November stattfinden, der Abstimmungskampf wird, das ist keine gewagte Prognose, laut und heftig. Hans-Ueli Vogt wird während dieses Abstimmungskampfes wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen. Er, der so viel Mühe in den einen Gegenvorschlag gesteckt hat, der so viel von seiner Partei ertragen musste. Einen «tragischen Helden» nennt ihn Balthasar Glättli. All die Arbeit, futsch. «Das stimmt nicht ganz», sagt Vogt und lächelt zum ersten Mal während des Gesprächs. «Wenn die Initiative angenommen wird, dann braucht es ein Umsetzungsgesetz. Da kann man an den Gegenvorschlag des Nationalrats anknüpfen.»

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