Dass die Clubs um Mitternacht schliessen müssen, ist heuchlerisch. Und es gefährdet die Kulturbetriebe. (von Tim Wirth)
Schon immer war die Polizeistunde dazu da, etwas zu verhindern: übermässigen Alkoholkonsum, laute Musik bis in die Morgenstunden – und jetzt also den Austausch von Covid-19-Viren. Funktioniert hat das nie richtig. Die Probleme wurden nicht gelöst, sondern verlagert, auch jetzt, während der Corona-Krise. Es ist, wie wenn die Lehrpersonen im Skilager den Aufenthaltsraum schliessen. Weitergekichert wird dann halt im Zimmer. Unkontrolliert.
Nachtclubs, Bars und Restaurants spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Virus. Erfahrungen in anderen Ländern hätten das gezeigt, sagte der Bundesrat. So viele Menschen auf einem Fleck – das fühlt sich komisch an nach Monaten der Distanz. Man kommt sich nahe. Die Chance, sich anzustecken, ist erheblich. Und doch ist ein Club ein geschützter Raum. Maximal 300 Menschen feiern zusammen. Da sie ihre Kontaktdaten hinterlegen müssen, sind die Infektionsketten nachvollziehbar.
Die Chance, sich anzustecken, ist erheblich. Und doch ist ein Club ein geschützter Raum.
Kurz vor Mitternacht müssen die DJs ihren letzten Song spielen, so steht es in der Verordnung. Musik aus. Grelles Licht an. Die Gäste fluten die Strasse, alle zur gleichen Zeit, paralleles Gewusel auf den Hauptnachtachsen der Schweiz. Contact-Tracing wird in diesem Moment zur Utopie. Ab in den 24-Stunden-Shop, Bier holen, dann mit der Boombox in den Park. Oder ins Casino, wo die Polizeistunde nicht gilt.
Mit steigendem Alkoholpegel würden die Feiernden unvorsichtiger, begründet der Bundesrat die Corona-Polizeistunde. Weniger Anstand, mehr Risiko. Doch die Trinksitten sind nicht ziviler, nur weil der Zapfhahn geschlossen bleibt.
Das zeigt das Beispiel England: Bis 2005 gab es dort eine Polizeistunde, in den Pubs klingelten Glocken die letzte Runde ein. Ab 23 Uhr durfte kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden, um Exzesse zu vermeiden. Also tranken die Briten möglichst viel in kurzer Zeit. Schliesslich musste die Regierung den Ausschank liberalisieren, um Schlägereien und Ausschreitungen einzudämmen.
Ähnlich verhält es sich momentan in der Schweiz. «Es gibt auch Tagespartys», gab Bundesrat Alain Berset das Motto vor – und die Clubs folgten. Sie öffnen jetzt einfach schon am Mittag. So bleibt genügend Zeit, unvorsichtig zu werden.
Die Polizeistunde führe zu Lärm und Littering und damit nur zu neuen Problemen in den Städten, ohne epidemiologisch einen Mehrwert zu bringen, sagte FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt gegenüber«Watson». Fabian Molina von der SP fragte den Bundesrat, wie er die vor dem Bankrott stehenden Betriebe bis zur Aufhebung der Polizeistunde unterstütze. Und Esther Friedli von der SVP fordert die sofortige Aufhebung, weil die Gastronomie sehr stark belastet werde.
Die meisten Clubs öffnen frühestens um 22 Uhr und verdienen ihr Geld dann bis in die frühen Morgenstunden. Da sie mit Polizeistunde nicht rentieren, haben viele immer noch geschlossen. Der Dachstock in Bern oder das Kaufleuten in Zürich blieben zu.
Die Polizeistunde verhindert kulturelle Vielfalt und gefährdet die Clubs.
Die Polizeistunde verhindert so kulturelle Vielfalt und gefährdet die Clubs. Erst wenn sie fällt, blühen die Städte wieder wirklich auf. Am Freitag trifft sich der Bundesrat erneut, um über die Corona-Massnahmen zu verhandeln. Er sollte dabei die Polizeistunde kippen. Am 19. Juni endet dann die ausserordentliche Lage, und die Kantone können wieder mehr selbst entscheiden. Auch sie müssen sich fragen, wie erbaulich diese Spassbremse ist.