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Den Weinbauern schanzt der Bundesrat ein Corona-Notpaket zu. Die Bierbrauer gehen leer aus. Warum eigentlich? Eine Anleitung zu erfolgreichem Weibeln in Zeiten von Corona.

Es war ein trauriger Moment. In der Brauerei Rosengarten in Einsiedeln – KMU, seit Generationen in Familienhand, zwei Dutzend Mitarbeiter –hielten die Chefs kürzlich Rat. Nach langen Diskussionen entschieden sie, einen Teil ihrer Biervorräte zu vernichten. «20’000 Liter – s Senkloch ab», sagt Alois Gmür, Chef der Brauerei und CVP-Nationalrat. 

Die Corona-Krise hat Gmürs Betrieb hart getroffen. Minus 70 Prozent Umsatz im April. Der Mai wird nicht viel besser werden. Das Geschäft läuft nur harzig wieder an. «Die Leute gehen jetzt eher fein und teuer essen, als dass sie in eine Bierbeiz sitzen», sagt Gmür. Auch wenn er in die weitere Zukunft blickt, ist die Lage schwierig. «Die Sommerevents, die Schwingfeste, die Chilbis, die Open Airs, das ist alles sehr bierlastig. Alles abgesagt.»

Wie die Brauerei Rosengarten die Krise bewältigen kann, weiss Gmür noch nicht. Hauptsache, man kommt irgendwie durch. Einziger kleiner Trost: Es geht allen in der Branche gleich.

Hilfe von ganz oben

Wobei ganz richtig ist das nicht. Denn während die Bierbrauer in der Krise auf sich allein gestellt sind, haben andere Produzenten von Alkoholika soeben Hilfe von ganz oben erhalten. Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, bewilligte der Bundesrat vergangene Woche ein Corona-Hilfspaket von 10 Millionen Franken für die Weinbauern. 

Der Weinsektor sei besonders betroffen von Restaurantschliessungen und Veranstaltungsverbot, schrieb der Bundesrat. Um einen «Preiszerfall» zu verhindern, subventioniert der Staat nun die Vernichtung hochwertiger Weinvorräte. Pro Liter AOC-Wein, der zu Tafelwein deklassiert wird, gibt es zwei Franken.

Während Alois Gmür sein Bier also auf eigene Rechnung ins Senkloch schüttet, erhält die Weinbranche dafür immerhin noch eine Prämie vom Steuerzahler. 

Warum wird den einen geholfen, während die anderen darben? Was haben die Weinbauern richtig gemacht? Was die Bierbrauer falsch? 

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Kleiner Einschub – Handbuch für erfolgreiches Lobbying in der Krise

Zwingend

Hilfreich

Überflüssig

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Wie man das richtig macht, wie man dieses Handbuch mustergültig anwendet, zeigten der Gewerkschaftsbund (Kurzarbeitsmodell), der Gastroverband (Lockerungen für die Beizen) und die Bankiervereinigung (Kredite für KMU). 

Und eben die Weinbranche. Sie ist gut organisiert, sie hat Kontakte in die Regierung (es hilft, dass Wirtschaftsminister Guy Parmelin ein ehemaliger Weinbauer ist), und sie hat eine pfannenfertige Lösung. 

Die Idee einer Deklassierungsprämie dafür, die vollen Weinkeller zu leeren, kursiert in Bern seit geraumer Zeit. Mit der Corona-Krise ging es jetzt aber, zack, zack: Am 3. April bettelte die Weinbranche beim Bundesrat mit einem Brief um Hilfe. In den folgenden Wochen arbeiteten das Bundesamt für Landwirtschaft und der Verband hinter den Kulissen die Lösung aus.

Druck aus dem Parlament brauchte es nicht. Zwar deponierte der Präsident des Schweizerischen Weinbauernverbands, FDP-Nationalrat Frédéric Borloz, am 6. Mai einen Vorstoss für eine Deklassierungsprämie. Doch zwei Wochen später hatte der Bundesrat die Forderung bereits in die Tat umgesetzt. Der französische Text von Borloz’ Vorstoss war von den Parlamentsdiensten noch nicht einmal ins Deutsche übertragen worden. 

Was der Fall der Weinbauern auch zeigt: was momentan nicht nötig ist, um in Bern zum Ziel zu kommen. Agenturlobbyisten.

Diese trifft die Krise hart, ihr Einfluss beschnitten, das Arbeitsfeld extrem eingeschränkt. Das Parlament ist für professionelle Interessenvertreter und Lobbyisten totes Gelände. Unerreichbar. 

«Seit Wochen herrscht in Bundesbern sozusagen eine physische Kontaktsperre», sagt der ehemalige Migros-Lobbyist Martin Schläpfer. Die Lobbyisten, die sonst während Sessionen in der Wandelhalle einen direkten Zugang zu den Parlamentariern haben, müssen draussen bleiben. «Dass wir während der Sondersession keinen Zugang hatten, haben wir natürlich akzeptiert. Irgendwann müssen wir aber mit der normalen Demokratie weitermachen», sagt Reto Wiesli.

Lobbyisten wollen wieder ins Parlament

Wiesli ist Präsident der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG) und damit der oberste Lobbyist in der Schweiz. Gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen von der Spag hat Wiesli anfangs Mai dem Ratsbüro einen ausgesucht freundlichen Brief geschrieben und darum gebeten, die Lobbyisten in der Sommersession nächste Woche in der Bernexpo-Halle wieder zuzulassen. «Um gemeinsam mit Ihnen die regulären Ratsgeschäfte in der nötigen Ruhe und Effizienz vorantreiben (…) zu können, benötigen auch wir die passenden räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Dauer der nächsten Session», heisst es im Schreiben. Wie gesagt: ausgesucht freundlich. Die Antwort des Ratsbüros war weniger erbaulich. Njet. Solange die ausserordentliche Lage andauere, könne man dem Wunsch der Spag nicht entsprechen. «Wir bitten Sie um Verständnis.»

Vielleicht ist Wiesli am Telefon darum nicht mehr ganz so diplomatisch und höflich. Eher angefressen. Lobbyismus sei während der Krise vor allem harte Arbeit. Natürlich könne man auch während der Quarantäne Druck entwickeln, Gastro Schweiz habe das eindrücklich gezeigt, sagt Wiesli. Mit einem Bundesrat an der eigenen Seite (vgl. Handbuch), mitten im Krisenmodus, bei einem richtig grossen Thema: Dann funktioniert es. «Doch nicht bei jedem Geschäft geht es um Leben und Tod. Es gibt Geschäfte unter der medialen Schlagzeilengrenze, die für die Schweiz auch wichtig sind – und bei denen ist es im Moment extrem schwierig, etwas zu erreichen.»

Natürlich wissen Lobbyisten, wie man telefoniert, wie man zoomt und skypt und freundliche E-Mails schreibt. Aber: «In einem persönlichen Gespräch spürt man viel mehr. Einen Anruf kann man auch locker wegdrücken», sagt Wiesli. Er und die ganze Branche fühlen sich etwas ausgeschlossen. Ein Zustand, der vielleicht noch länger dauern könnte. Es gebe nicht wenige Politiker, denen das gefalle, so ganz ungestört. Wiesli: «Die würden uns gerne für immer aussperren.»

Gefährliche Tendenzen

Tatsächlich gibt es solche Ideen. FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt hat einen entsprechenden Antrag gestellt, will die Zutrittsbadges abschaffen und die Lobbyisten aus der Wandelhalle werfen. «Ich bin froh, sind die Interessenvertreter im Moment nicht da. Das überfallartige Anspringen in der Wandelhalle entspricht mir nicht. Ich habe lieber einen ‹Onepager›, auf dem alles Wesentliche zusammengefasst ist.» Auch Corina Gredig, Nationalrätin der Grünliberalen, möchte den Zugang zum Parlament möglichst restriktiv gestalten. «In Coronazeiten gilt: Je weniger Leute rund um die Session, desto besser. Wir haben alle ein Telefon. Ein Austausch ist überhaupt kein Problem.»

Reto Wiesli, der Präsident der Spag, hält die Aussperrtendenzen für schwierig, für gefährlich gar. «Wir transportieren die Interessen der Gesellschaft und der Wirtschaft ins Parlament. Wir erden die Parlamentarier.»

Vorderhand wird das vorab per Telefon geschehen müssen.

Oder über das Internet. Die Corona-Krise begünstigt – auch im Lobbyismus – neue, digitale Formen. Daniel Graf, der Gründer Plattform Wecollect hat in den vergangenen Wochen ein älteres Projekt neu lanciert. 

Seine Lösung heisst «Crowd-Lobbying». Schon vor Entscheidungen in Kommissionssitzungen soll die Öffentlichkeit damit Einfluss auf Parlamentarier nehmen können. Steht ein wichtiges Geschäft an, werden die Stimmabsichten der Kommissionsmitglieder veröffentlicht. Wessen Absicht nicht der eigenen entspricht, dem kam man eine freundliches Argument schicken. Digital natürlich.

Ein geschickter Zeitpunkt

Aktuell versucht das Graf bei der staatspolitischen Kommission des Nationalrats und dem Entscheid zum Stimmrechtsalter 16. Graf ist für das tiefere Stimmrechtsalter, insgesamt wurden über 1000 Nachrichten an jene Parlamentarier verschickt, die das anders sehen. Diese Nachrichten werden dann gebündelt vor der Kommissionssitzung übergeben.

«Mit der Digitalisierung öffnen wir den parlamentarischen Prozess und können viel früher Einfluss nehmen», sagt Graf. Der Zeitpunkt für sein Lobbying ist tatsächlich ungewöhnlich – und geschickt. Bei grossen Geschäften (und bei kleinen) wird die entscheidende Richtung oft in den Kommissionen vorgegeben. Graf geht es auch um die Sichtbarkeit des politischen Prozesses. Oft werden in Kommissionen Entscheidungen gefällt, die es nicht in die Berichterstattung der Medien schaffen.

Wie prickelnd es Parlamentarier finden, wenn sie künftig schon vor der Beratung in der Kommission mit guten Ratschlägen eingedeckt werden, ist eine unbeantwortete Frage (Vermutung: nicht sehr); wie gross der Einfluss tatsächlich ist, ebenfalls. Beim Pilotprojekt ging es auf jeden Fall schon einmal nicht auf. Die Kommission lehnte das Stimmrechtsalter 16 am Donnerstag ab.

Richtig erfolgreiches Lobbying geht anders. Das weiss auch Braumeister Alois Gmür. Ein Vorbild nehmen an den Weinbauern will er sich dennoch nicht. Er habe mit dem Vorstand des Brauereiverbands darüber diskutiert, ob man beim Bund um finanzielle Unterstützung bitten wolle. «Wir haben entschieden, dass wir das bleiben lassen. Wir wollen es ohne Staatshilfe schaffen. Vielleicht ist das der grosse Unterschied zwischen den Brauern und den Bauern.»

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