Deshalb stimme ich Ja zur Reform der beruflichen Vorsorge

Alles, was Du über Deine berufliche Vorsorge und die Abstimmung vom 22. September wissen musst. Und wieso ich am Schluss Ja stimmen werde.

Einführung

Einführend einige erläuternde Worte zum System und zu den Begrifflichkeiten der beruflichen Vorsorge für alle, die sich nicht tagtäglich mit der beruflichen Vorsorge beschäftigen. Alle, die sich öfters mit der beruflichen Vorsorge auseinandersetzen, können die Einführung überspringen.

Obligatorium und Überobligatorium

Das Parlament regelt im Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG)[1]  nur das gesetzlich vorgegebene Minimum, wie der Lohn aus Arbeitseinkommen für die eigene Pension versichert sein muss.

Das BVG sieht vor, dass bis maximal CHF 88’200 Jahreseinkommen Beiträge an die berufliche Vorsorge bezahlt werden müssen. Der sogenannte versicherte Lohn, also der Lohn, auf dem die Beiträge bezahlt werden müssen, ergibt sich aus dem AHV-Bruttolohn abzüglich des fixen Koordinationsabzuges von heute CHF 25’725.

Ein Beispiel: Wer CHF 60’000 pro Jahr verdient, zahlt auf einen Lohn von CHF 34’275 Beiträge in seine berufliche Vorsorge. Das gilt auch wenn diese Person nur 80% arbeiten würde. Der Abzug ist fix.

Das Ziel unserer Vorsorgesystems ist, dass die AHV, das BVG und die 3. Säule bei Erreichen des Pensionsalters einen wesentlichen Teil des bisherigen Lohnes durch eine Rente ersetzen. Deshalb spricht man auch von einer Ersatzquote, wenn man das Verhältnis der Rente zum bisherigen Lohn berechnet. 

Der Koordinationsabzug hat seinen Ursprung in der Idee, dass man auf seinem Lohn bereits Beiträge an die AHV (1. Säule) bezahlt und somit einen Teil des Lohnes bei Erreichen des Rentenalters als Rente „zurückerhält“. Aus diesem Grund wollte das Parlament früher nicht den ganzen Lohn (nochmals) in der beruflichen Vorsorge versichern. Diese Ansichtsweise kann Sinn ergeben, wenn jemand man in einem 100% Pensum arbeitet. Dann sollte dank den Beiträgen in die AHV und in die berufliche Vorsorge bei Erreichen des Pensionsalters ca. 60-70% des bisherigen Lohnes als Rente zur Verfügung stehen. Dies ist aber nicht der Fall, wenn jemand Teilzeit arbeitet oder für mehrere Arbeitgeber tätig ist. Dann erhält man oftmals weniger als 60% des bisherigen Lohnes als Rente. Grund für diese tiefe Rente ist der fixe Koordinationsabzug.

Da immer mehr Menschen in einem Teilzeit-Pensum arbeiten, hat das heutige System ausgedient.

Ein Beispiel: Wenn jemand 50% arbeitet und CHF 40’000 pro Jahr verdient, zahlt diese Person heute lediglich auf CHF 14’275 des Lohnes BVG-Beiträge und erhält deshalb nach der Pensionierung eine tiefe Rente. Der Abzug ist fix. Wenn diese Person bei zwei Arbeitgebern je 50% und mit jeweils CHF 40‘000 Lohn arbeitet, ist der versicherte Lohn CHF 28‘550. Bei einem 100%-Pensum und einem Lohn von CHF 80‘000 wäre der versicherte Lohn mit CHF 54‘275 doppelt so hoch.

Unter anderem führt dies zum so genannten „Gender Pension Gap“ – die Tatsache, dass Frauen eine tiefere Rente haben als Männer.[2] Frauen haben keine tiefere Rente, weil sie Frauen sind und das Gesetz sie benachteiligen würde, sondern deshalb, weil sie häufiger in Teilzeitpensen arbeiten und tiefere Arbeitspensen heute schlechter versichert sind und auf tieferen Einkommen auch automatisch weniger Beiträge einbezahlt werden.[3]

Diese einleitenden Ausführungen betreffen das gesetzliche Minimum, also das, was wir als Parlament vorgeben. Es wird „Obligatorium“ genannt.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Arbeitgeber stets mindestens die Hälfte der Beiträge leisten muss. Das Sparkapital wird auf ein persönliches Konto gutgeschrieben und verzinst (Kapitaldeckungsverfahren). Deshalb nimmt es Jahr für Jahr zu. Das ist der grosse Unterschied zur AHV, in welcher die Beiträge direkt zu den Rentnerinnen und Rentner fliessen (Umlageverfahren).

Bei Erreichen des Pensionsalters hat man im Durchschnitt einen Drittel des Kapitals durch die eigenen Beiträge selbst bezahlt, der zweite Drittel stammt aus den Beiträgen des Arbeitgebers und der dritte Drittel von den Zinsen dank der Anlage der Gelder an der Börse. Dies ist wichtig zu betonen, weil Gewerkschaften und Linke Parteien stets das Lied von der teuren (Vermögens-)Verwaltung spielen. Dabei sind alle Kosten der Verwaltung in diesen Zahlen integriert. Was zählt, ist das, was man am Schluss auf dem eigenen Konto hat. Dank der Anlage der Gelder an der Börse hat jeder Versicherte durchschnittlich über die letzten 20 Jahre gut CHF 100’000 als Zinsen gutgeschrieben erhalten.[4]

Nun steht es der Pensionskasse respektive dem Stiftungsrat frei, zu entscheiden, von den gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen. Sie dürfen lediglich nicht schlechtere Leistungen versichern, als es das Gesetz vorgibt (Anrechnungsprinzip).

Der Stiftungsrat einer Pensionskasse kann somit beispielsweise entscheiden, den Koordinationsabzug zu reduzieren oder 100% des Bruttolohns zu versichern. Das führt bei gleichbleibenden Beitragssätzen dazu, dass die Versicherten und der Arbeitgeber mehr Beiträge an die berufliche Vorsorge zahlen, die Versicherten damit mehr Kapital anhäufen, somit mehr Zinsen und mit 65 Jahren eine höhere Rente erhalten.

Alles, was über den obligatorischen Teil einbezahlt wird, nennt sich „Überobligatorium“.

Die Pensionskasse muss für jeden Versicherten Konti führen, in welcher sie ausweist, wie viel Geld man obligatorisch einbezahlt hat und wie viel man überobligatorisch einbezahlt hat. Das ist für die Berechnung der monatlichen Rente entscheidend. Als Versicherter finde ich diese Unterscheidung auf meinem eigenen Vorsorgeausweis (Anrechnungsprinzip).

Da die berufliche Vorsorge dezentral organisiert ist, also der Arbeitgeber die freie Wahl hat, ob er eine eigene Pensionskasse unterhalten oder sich einer Sammelstiftung anschliessen will, existieren heute über 1’000 Vorsorgeeinreichungen. Genaue Zahl, wie viele Personen überobligatorisch versichert sind, gibt es nicht. Man geht aber davon aus, dass rund 85% der Erwerbstätigen auch überobligatorisches Kapital besitzen und nicht ausschliesslich obligatorisch versichert sind. 

Monatliche Rente (Umwandlungssatz) und/oder Kapitalbezug

Ab dem Alter von 58 Jahren hat man die Möglichkeit, das angesparte Kapital in eine monatliche Rente umzuwandeln (daher der Begriff „Umwandlungssatz“) oder das angesparte Kapital als Ganzes oder teilweise auszahlen zu lassen. 

Der Umwandlungssatz sagt aus, wie viel Prozent man pro Jahr aus dem angesparten Kapital als Rente ausbezahlt erhält. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestumwandlungssatz beträgt heute 6.8%. Dieser bezieht sich jedoch nur auf das obligatorisch angesparte Kapital. Der Stiftungsrat ist in der Bestimmung des überobligatorischen Umwandlungssatzes frei.

Ein Beispiel: Wer CHF 300’000 Kapital angespart hat (unter der Annahme, alles sei aus dem Obligatorium), erhält eine jährliche Rente aus der beruflichen Vorsorge von CHF 20’400 (300’000 x 6.8%).

Nimmt man an, dass das Kapital nicht mehr verzinst wird, würde es für knapp 15 Jahre ausreichen. Hier kommt die Krux: Da die Lebenserwartung bei Erreichen des Pensionsalters über 20 Jahre (Tendenz steigend) beträgt, erhält man ca. 5 Jahre mehr ausbezahlt, als man eigentlich angespart hat. Dies ist die so genannte „versteckte Umverteilung“ von der Erwerbsbevölkerung zu den Rentnerinnen und Rentner. Die Umverteilung ist deshalb versteckt, weil diese fehlenden 5 Jahre, also insgesamt CHF 102’000, nicht jemanden belastet werden, sondern in diesem Umfang dem Kapital der Erwerbsbevölkerung weniger Zinsen gutgeschrieben werden. Das heisst konkret: Anstelle einer Verzinsung des Kapitals von bspw. 3% erhält die Erwerbsbevölkerung, die noch für ihre Pensionierung spart, bspw. nur 2.5% Zins. 0.5% werden für die Finanzierung des zu hohen Umwandlungssatzes verwendet. Man geht davon aus, dass mit der Reform jährlich ca. CHF 500 Mio. weniger  Rückstellungen für zu hohe Umwandlungssätze gebildet werden müssen, was eins zu eins der Verzinsung des Kapitals der Versicherten zu Gute kommen würde.

Das hat – nicht nur, aber auch – dazu geführt, dass viele Pensionskassen die Löhne ihrer Versicherten überobligatorisch versichert haben. Wer zum Beispiel CHF 450’000 Kapital hat, wovon CHF 150’000 überobligatorisch versichert sind, erhält zwar auf den Betrag von CHF 300’000 eine Rente von CHF 20’400, also 6.8%. Um den zu hohen Umwandlungssatz auszugleichen, wird der überobligatorische Teil tiefer umgewandelt. Geht man davon aus, dass ein Umwandlungssatz von 5% fair[5] ist, müsste die Person total eine Rente von CHF 22’500 erhalten. Das hiesse, dass der theoretische Umwandlungssatz auf die CHF 150’000 lediglich noch 1.27% beträgt (CHF 1’900 /CHF 150’000). Das wird so nie ausgewiesen, man spricht einfach vom „umhüllenden“ Umwandlungssatz von 5%, weil dieser das Obligatorium wie auch das Überobligatorium „umhüllt“. Man könnte daraus schliessen, für die Versicherten lohne es sich gar nicht, überobligatorisches Kapital anzuhäufen. Wer jedoch bei der Pension das Kapital anstelle einer Rente bezieht oder im Falle von Tod oder Invalidität eine Leistung in Anspruch nimmt, erhält dank der überobligatorischen Versicherung eine bessere Absicherung resp. mehr Geld, als wenn man nur obligatorisch versichert wäre.

Wer nun findet, diese Rente sei zu tief resp. die eigene Pensionskasse sei zu knausrig und biete einen zu tiefen Umwandlungssatz an, der hat die Möglichkeit, sich das angesparte Kapital inkl. der Zinsen und Beiträgen des Arbeitgebers auszahlen zu lassen. Der Vorteil ist, dass man ab sofort frei über das ganze Kapital verfügen und es so investieren oder konsumieren kann, wie man will. Der Nachteile sind: Die Versicherten können ihr Kapital selten besser anlegen als die Pensionskasse. Weiter wären die Verwaltungskosten um einiges höher. Und wenn das Kapital aufgebraucht ist, hat man nichts mehr. Die Rente der Pensionskasse erhält man so lange, wie man lebt. Selbst beim Ableben wird weiterhin eine (tiefere) Witwe(n/r)rente ausbezahlt, falls man verheiratet ist und die Ehepartnerin oder der Ehepartner noch lebt.

Altersgutschriften

Die Beitragssätze der Pensionskasse sind altersabhängig. Das geltende Gesetz sieht vor, dass man mit zunehmendem Alter immer mehr einzahlt. Es gibt verschiedene Mutmassungen, weshalb das dazumal so entschieden wurde. Einerseits ging man davon aus, dass man mit zunehmendem Alter mehr verdient und deshalb mehr freie Mittel zur Verfügung hat. Andererseits hatten bei der Einführung der beruflichen Vorsorge Personen im Alter von 50 nur noch 15 Jahre Zeit, um eine berufliche Vorsorge anzusparen, weshalb es Sinn ergab, für sie höhere Beiträge festzulegen. Die Staffelung der Beiträge ist heute wie folgt (wobei immer mind. die Hälfte der Arbeitgeber zu bezahlen hat): 25 bis 35 Jahren: 7%, bis 45 Jahren 10%, bis 55 Jahren 15%, bis 65 Jahren 18%. Das hat zur Folge, dass ältere Arbeitnehmende auf dem Arbeitsmarkt lediglich aufgrund ihres Alters teurer sind als jüngere Arbeitnehmende.

Nicht gewinnorientiert

Es ist wichtig zu betonen, dass Pensionskassen keine eigentlichen Gewinne erwirtschaften, die sie jemandem abliefern müssen. Sie sind meistens als Stiftungen organisiert, die nicht gewinnorientiert sind. Ihre Erträge, um die Verwaltungskosten zu decken, setzen sich vor allem aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber sowie aus Anlageerträge zusammen. 

Es ist also nicht so, dass ein tieferer Umwandlungssatz einen höheren Gewinn für irgendjemanden zur Folge hätte. Es ist lediglich so, dass Rückstellungen aufgelöst werden können, die heute gebildet werden müssen, um den zu hohen Umwandlungssatz zu finanzieren. Durch die Auflösung von Reserven steht mehr Geld zur Verzinsung des Kapitals der Versicherten zur Verfügung.

Paritätisch zusammengesetzte Stiftungsräte

Vorsorgeeinrichtungen erwirtschaften nicht nur keine eigentlichen Gewinne, sie werden auch von einem paritätisch zusammengesetzten Stiftungsrat geleitet. Das heisst, dass die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber die gleiche Anzahl Personen in den Stiftungsrat wählen, so dass die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen im obersten Führungsorgan vertreten sind.

Versicherung auch gegen Tod und Invalidität

Obwohl ich bisher vor allem über die Pensionierung und Altersvorsorge geschrieben habe, erfüllt die 2. Säule eine weitere wichtige Aufgabe: Die Versicherung gegen die Folgen von Tod und Invalidität. Der versicherte Lohn ist somit auch massgebend für Leistungen, wenn man invalid wird oder stirbt. In diesem Fall werden Leistungen an die überlebenden Ehegatten und/oder Kindern ausbezahlt.

Die Reform

Am 22. September 2024 stimmt die Schweizer Bevölkerung über eine Reform des BVG ab. Ich gehe nachfolgend auf die wichtigsten Änderungen ein. Die Würdigung der Massnahmen erfolgt im nächsten Kapitel.

Senkung der Eintrittsschwelle und des Koordinationsabzugs

Neu sollen alle Löhne ab CHF 19’845 pro Jahr in der beruflichen Vorsorge versichert werden (heute: CHF 22’050). Zudem soll der Koordinationsabzug von heute fix CHF 25’725 auf neu variabel 20% des Lohnes angepasst werden.

Ein Beispiel: Wer CHF 50’000 verdient, hat neu somit CHF 40’000 seines Lohnes in der beruflichen Vorsorge versichert (bisher CHF 24’275).

Durch diese Massnahme steigt der versicherte Lohn insbesondere bei Teilzeit-Angestellten. Dies führt automatisch zu einer höheren Rente für Personen, die in einem Teilzeitpensum arbeiten.

Angleichung der Altersgutschriften

Neu soll es nur noch zwei Stufen an Altersgutschriften geben. Bis 45 Jahren wären die Beiträge 9%, danach 14%. Das heisst, dass Jüngere etwas mehr Beiträge und Ältere etwas weniger Beiträge leisten müssten. Mit dieser Massnahme stärken wir die Attraktivität der älteren Arbeitnehmenden im Arbeitsmarkt. Das ist ein Versprechen aus vergangenen Abstimmungskämpfen, welches nun endlich eingelöst werden soll.

Senkung des Mindesumwandlungssatzes und Kompensationsmassnahmen

Der BVG-Mindestumwandlungssatz soll von 6.8% auf 6% gesenkt werden. Dies reduziert die versteckte Umverteilung. Wie in der Einführung erwähnt, betrifft dies ca. 15% der Versicherten (insgesamt wahrscheinlich noch weniger, weil ein Teil der Betroffenen das Kapital und keine Rente beziehen).

Nicht betroffen sind alle Personen, die bereits eine Rente beziehen (Besitzstandswahrung) sowie alle Personen, die überobligatorisches Kapital angespart haben (85% der Versicherten). Die Reduktion des BVG-Umwandlungssatzes führt dazu, dass man – wenn alles andere gleich bleibt – weniger Rente erhält, wenn man ausschliesslich obligatorisches Kapital besitzt. Es ist jedoch nicht so, dass einem etwas weggenommen wird, was man vorher gehabt hat. Es ist eher umgekehrt: Heute erhält man viel mehr, als man angespart hat. Das soll nun korrigiert werden.

Um dennoch keine Renteneinbusse zu haben, wurde u.a. der Koordinationsabzug gesenkt. Weil der versicherte Lohn und damit die Beiträge zunehmen, kann mehr Kapital angespart werden, was am Schluss zu einer mindestens so hohen monatlichen Rente führen soll.

Da Personen, die heute über 50 Jahre alt sind, nicht mehr genügend Zeit haben, die Einbusse von 6.8% auf 6% durch eine höhere Sparquote auszugleichen, hat das Parlament Kompensationsmassnahmen für alle Personen über 50 Jahren beschlossen. Diese beinhalten Rentenzuschläge von maximal CHF 200 pro Monat für alle mit einem Kapital von weniger als CHF 441’000. Die Kompensationen nehmen alle 5 Jahre ab und laufen nach 15 Jahren aus.

Fake News resp. Nebelpetarden 

Die berufliche Vorsorge ist den Sozialisten und Gewerkschaften ein Dorn im Auge. In der 2. Säule unserer Altersvorsorge spart jede und jeder zusammen mit seinem Arbeitgeber für sich selbst. Es handelt sich um ein Kapitaldeckungsverfahren und nicht um ein Umlageverfahren, wie es die AHV ist. Aus ökonomischer Sicht gibt es gute Argumente für das eine und das andere, weshalb wir stets für die AHV und für die berufliche Vorsorge einstehen (wie auch für die 3. Säule).

Es gibt leider zu viele Linke, welche die berufliche Vorsorge abschaffen und noch mehr Umverteilung etablieren wollen.[6] Deshalb reden sie die berufliche Vorsorge konstant schlecht. Sie haben kein Interesse daran, dass die Stärken der beruflichen Vorsorge zum Vorschein kommen. Im Folgenden gehe ich auf wenige, platte Aussagen seitens der Gegnerschaft ein.

Der Vorwurf, die Pesionskassen „schwimmen im Geld“

Ich war erstaunt, als ich gelesen habe, es brauche gar keine BVG-Reform, weil die Pensionskassen so viel Geld und Rückstellungen aufweisen wie noch nie.[7] Als ob das etwas Schlechtes sei. Im Gegenteil: Es gibt so viele Erwerbstätige und Rentner wie noch nie, da ist es auch logisch, dass das Kapital in der beruflichen Vorsorge ansteigt. Alles andere wäre fatal, denn das würde bedeuten, dass trotz zunehmender Bevölkerung die Renten sinken würden. Das Gegenteil ist der Fall.

Parallel dazu steigen auch die jährlichen Einnahmen und Ausgaben der AHV an. Das ist weder gut noch schlecht, es ist ein Fakt. Und dass die Pensionskassen viele Rückstellungen aufweisen, zeigt, dass sie sorgfältig mit dem Kapital der Versicherten umgehen. Sie können so die Risiken eines schlechten Anlagejahres abfedern oder weitere „Risiken“ wie Langlebigkeit absichern. Die Reserven verfolgen also immer einen Zweck und werden nicht „zum Spass“ angehäuft, weil man nicht mehr weiss, wohin mit dem Geld. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Vorsorgeeinrichtungen von Pensionskassenexperten und der Stiftungsaufsicht betreut und überwacht werden. Willkürliche Rückstellungen werden nicht akzeptiert.

Angebliche Kürzungen von bis zu CHF 3’200 pro Monat

Den Vogel abgeschossen hat SP-Nationalrat und ex Juso David Roth. Er behauptete tatsächlich, mit der Reform gäbe es bis zu CHF 3’200 weniger Rente.[8] Das ist schlicht und einfach falsch. Er hat sich wohl in der Tabelle des VZ[9] und den Modellrechnungen für verschiedene Löhne und Jahrgänge vertan. Gemäss diesen Modellrechnugen resultiere im schlimmsten Fall eine Renteneinbusse von CHF 3’200 pro Jahr (und nicht pro Monat). Dies aber auch nur, weil man im Gegenzug weniger Beiträge einbezahlen muss, also einen höheren Nettolohn pro Monat hat. Das ist die Krux an der Senkung der Altersgutschriften bei den über 55-Jährigen. Sie werden dadurch zwar attraktiver auf dem Arbeitsmarkt (tiefere Lohnnebenkosten), erhalten mehr Lohn ausbezahlt, haben aber im Gegenzug eine tiefere Altersrente. Dafür besteht die Möglichkeit, die Differenz des höheren Nettolohnes z.B. auf ein Sparen 3 Konto einzuzahlen und so die eigene Rente zu verbessern.

Dieses Beispiel zeigt die Limiten von Modellrechnungen auf. Einerseits gibt es kaum jemand, der das Leben lang gleich viel Geld verdient, weshalb solche Modelle sehr abstrakt und theoretisch sind und andererseits heisst es nicht, ob eine Reform gut oder schlecht ist, nur weil man mehr oder weniger Geld erhält. Wenn man viel mehr Nettolohn und dafür ein wenig tiefere Rente erhält, kann das für einen persönlich immer noch positiv sein.

Klagen der Tieflohnbranche

Neben den Gewerkschaften bekämpfen auch Branchen mit tieferen Löhnen die Reform (z.B. Gastrosuisse). Da ich selbst Gastrounternehmer bin, stehe ich dem Verband sehr nahe, bin in dieser Reform aber anderer Meinung. Natürlich hätte die Senkung des Koordinationsabzug zur Folge, dass die Gastrounternehmer höhere Lohnnebenkosten zu tragen hätte. Dafür sind aber die Angestellten besser versichert und erhalten eine höhere Rente. Es kann nicht sein, dass unsere Branche nur dann funktioniert, wenn die Lohnnebenkosten tief gehalten werden. Und es sollte im Interesse jedes Arbeitsgebers und jedes Wirtschaftsverbandes sein, dass wir in der Schweiz drei starke Säulen der Altersvorsorge haben und das BVG nicht immer mehr geschwächt wird.

Politische Würdigung

Die BVG-Reform wurde im Parlament von FDP, SVP, GLP und Mitte unterstützt. Abgelehnt wurde sie von der SP und den Grünen.

Strukturelle Massnahmen

Die Senkung des Umwandlungssatzes ist richtig, weil so die verdeckte Umverteilung zu Lasten der erwerbstätigen Bevölkerung gesenkt wird. Es profitieren alle von dieser Massnahmen, denn das eigene Kapital kann dadurch höher verzinst werden. Leider ist diese höhere Verzinsung nicht Teil der Modellrechnungen, die uns gezeigt werden.

Zudem werden Menschen mit einem tiefen Lohn besser versichert. Sie sind im Pensionsalter dadurch weniger von Altersarmut betroffen. Denn die Realität ist, dass Menschen mit einer guten beruflichen Vorsorge kaum von Altersarmut betroffen sind. Das zeigt die Armutsstatistik der Schweiz.[10]

Weiter erhöht die Reform dank der Senkung der Beiträge ab 55 Jahren die Attraktivität älterer Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt. Auch das ist eine längst überfällige Massnahme.

Kompensation

In Expertenkreise führt die vom Parlament beschlossene Kompensation zu Kopfschütteln. Ich kann das verstehen. Denn das Parlament hat beschlossen, dass alle Personen bis zu einem Kapital von CHF 441’000 eine Kompensation erhalten. Unabhängig davon, ob sie überhaupt von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffen sind oder nicht. Die FDP hat sich im Nationalrat dagegen gewehrt – leider erfolglos. Rein ökonomisch kann man diese sehr grosszügige Kompensation nicht begründen. Denn es sollte nur kompensiert werden, wo es auch eine Einbusse gibt.

Sozialpolitisch war hingegen stets das Argument, dass generell tiefe Renten verbessert werden müssen – egal, ob sie obligatorisch oder überobligatorisch zusammengesetzt sind. Die nun beschlossene, sehr grosszügige Kompensationsmassnahme müsste eigentlich dazu führen, dass die Linke geschlossen hinter der Reform steht. Aber die Politik ist nicht immer logisch…

Modellrechnungen

Es wird bis zur Abstimmung nun einige Modellrechnungen geben, sei es vom VZ, vom Blick, vom BSV (…) und weiteren Akteuren. Es wird mit Zahlen jongliert, „wer gewinnt, wer verliert?“. Da die berufliche Vorsorge sehr individuell ist und stark vom eigenen Vorsorgeplan und Werdegang abhängig sind, sind solche pauschalen Aussagen sehr ungenau. Aus diesem Grund rate ich, die Reform an ihren Massnahmen zu beurteilen und nicht an irgendwelchen Modell-Menschen, die so der Realität wohl kaum vorkommen. So kann zusammengefasst werden:

✅ Senkung der Eintrittsschwelle ist sinnvoll, weil dadurch mehr Personen in den Genuss der beruflichen Vorsorge kommen

✅ Senkung des Koordinationsabzugs ist sinnvoll, weil dadurch mehr Lohn in der beruflichen Vorsorge versichert wird

✅ Angleichung der Altersgutschriften ist sinnvoll, weil dadurch ältere Arbeitnehmende nicht mehr teurer sind

✅ Senkung des Umwandlungssatzes ist sinnvoll, weil dadurch die Verzinsung des Kapitals aller Versicherten zunimmt

⚠️ Kompensationsmassnahme sind systemfremd ausgestaltet, aber im Sinne des Pakets und Kompromisses zu akzeptieren

Was wir nicht erreichen konnten

Die FDP hätte gerne den Umwandlungssatz aus dem Gesetz gestrichen, da dieser eine rein mathematisch zu bestimmtende Grösse ist. Weiter hätten wir gerne die Eintrittsschwelle für das Zahlen von Altersgutschriften auf 21 Jahre gesenkt und die Altersgutschriften für alle, die neu ins BVG eintreten, auf einen Einheitssatz (z.B. 12.5%) festgelegt. Zudem wollten wir die Möglichkeit schaffen, auch unter 58 Jahren bei einer Reduktion des Pensums weiterhin den ursprünglichen Lohn zu versichern. Leider waren wir bei diesen Anliegen in der Minderheit.

Was danach kommt

Wird die Reform abgelehnt, würde die Linke feiern und eine Senkung des Umwandlungssatzes wäre vom Tisch. Es wird in nützlicher Frist keine bessere Reform geben, welche die Senkung des Umwandlungssatzes beinhaltet.

Ob danach eine reine Strukturreform ohne Anpassung des Umwandlungssatzes eine Mehrheit erhält, steht in den Sternen. Denn es wäre eine Stärkung der beruflichen Vorsorge und daran haben Gewerkschaften kein Interesse. Zudem wäre der Widerstand der Tieflohnbranche gegen höhere Abzüge (resp. gegen eine bessere Versicherung ihrer Angestellten) vorprogrammiert. Es bestünde somit eine unheilige Allianz. Eine neue Reform würde ohnehin mehrere Jahre dauern. Bis dahin wären Teilzeit-Angestellte weiterhin schlecht versichert, ältere Arbeitnehmende teurer auf dem Arbeitsmarkt und die Verzinsung der erwerbstätigen Bevölkerung zu tief.

So komme ich zum Schluss, dass ich lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach habe. Ohne der missglückten Ausgestaltung der Kompensationsmassnahmen (hier hätte sich lieber der Nationalrat durchgesetzt, der vorgesehen hat, dass ausschliesslich die Betroffenen eine Kompensation erhalten) wäre es eine sehr gute Reform. So erhält sie die Note 5 von 6. Ein Scheitern wäre ein Erfolg für die, welche das BVG ohnehin abschaffen wollen. Es wäre eine Ohrfeige an alle, die Teilzeit arbeiten.

Ich will, dass die berufliche Vorsorge mit der Zeit geht. Deshalb stimme ich überzeugt Ja zur Reform der beruflichen Vorsorge.


[1] https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/bv/reformen-und-revisionen/bvg-reform.html#297735046

[2] Bei genauerer Betrachtungsweise stimmt diese Aussage so pauschal auch nicht ganz. Vergleicht man die Renten von unverheirateten Frauen mit unverheirateten Männern, haben Frauen eine leicht höhere Rente als Männer. Vergleicht man aber die Renten von verheirateten Frauen mit derjenigen von verheirateten Männern, haben Frauen eine tiefere Rente, da verheiratete Frauen im Durchschnitt tiefere Arbeitspensen als verheiratete Männer aufweisen. Da Ehepartner Anspruch auf die Hälfte der Rente des Ehepartners haben, müsste man eine Haushaltsbetrachtung vornehmen. Denn im Falle einer Scheidung würde die Rente halbiert und aufgeteilt. Dieser Effekt wird in den Statistiken nicht wiedergegeben, weshalb diese Statistiken jeweils nur die halbe Wahrheit aussagen. Siehe dazu auch https://www.nzz.ch/schweiz/von-wegen-rentenluecke-ledige-frauen-haben-die-maenner-ueberholt-ld.1665807.

[3] Die Beiträge sind stets prozentual zum Einkommen zu verstehen. 10% von CHF 100’000 ist mehr als 10% von CHF 50’000.

[4] Die Kosten teilen sich auf die Kosten für die Administration der Pensionskasse sowie für die Verwaltung der Gelder auf. Es ist die Verantwortung des Stiftungsrates, dass die Administration effizient und die Verwaltung im besten Interesse der Versicherten ist. Die Vermögensverwaltung kostet im Durchschnitt 0.49% des Kapitals pro Jahr. Die durchschnittliche Nettorendite einer Schweizer PK betrug über 5 Jahre knapp 20%. Am Schluss ist entscheidend, was nach Abzug der Kosten auf dem Konto gutgeschrieben wird. https://www.linkedin.com/posts/asset-management-association-switzerland_amas-report-zum-3-beitragszahler-activity-7226219388507455488-RCim

[5] Unter fair meine ich an dieser Stelle, was ökonomisch und mathematisch richtig wäre. Während die AHV viel gewollte Umverteilung beinhaltet, war und ist das nicht die Idee der beruflichen Vorsorge, in der man zusammen mit seinem Arbeitgeber für sich selbst spart (Kapitaldeckungsverfahren).

[6] „Langfristig am besten wäre es, wenn die zweite Säule in die erste übergeführt würde.“ NR Prelicz-Huber (https://www.tagesanzeiger.ch/er-will-bis-66-arbeiten-sie-geld-fuer-eine-13-rente-448118246980)

[7] https://www.tagesanzeiger.ch/rentenreform-pierre-yves-maillard-im-interview-654178337914

[8] David Roth in der Luzerner Zeitung vom 6. August 2024, S. 5 – in der Online-Version korrigierte David Roth die falschen Zahlen

[9] https://www.vermoegenszentrum.ch/vz-ratgeber/studien/die-reform-der-beruflichen-vorsorge-bvg-21

[10] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/gesellschaft/armutsquote.assetdetail.30526410.html

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