Der Bundesrat hat den Erwerbsersatz für Selbständige bis im September verlängert. Wer nicht mehr auf Hilfe angewiesen ist, kann sich freiwillig bei der Ausgleichskasse melden. Doch das tun längst nicht alle. von Ladina Triaca
Coiffeure dürfen seit vier Monaten wieder Haare schneiden. Zwar müssen sie bei der Arbeit eine Maske tragen, doch die Salons sind inzwischen wieder gut gefüllt. Auch Taxifahrer und Lädeli-Besitzer empfangen rege Kundschaft.
Das Geschäft vieler Selbständiger läuft – und trotzdem erhalten sie weiterhin Geld des Bundes. Denn der Bundesrat hat am 1. Juli entschieden, den Corona-Erwerbsersatz für direkt und indirekt von der Krise betroffene Selbständige bis Mitte September zu verlängern – und zwar automatisch.
Selbständige, die seit der Aufhebung des Lockdowns keine Einbussen mehr zu beklagen haben, müssen das von sich aus bei ihrer AHV-Ausgleichskasse melden. Diese sind für die Auszahlung des Erwerbsersatzes zuständig. Nur, BLICK-Recherchen zeigen: Das machen längst nicht alle.
Wenige melden sich freiwillig
So haben etwa im Kanton Zürich seit Beginn der Krise rund 31’000 Selbständige Corona-Hilfen beantragt. Nur 1200 haben den Behörden seit den Lockerungen mitgeteilt, dass sie nicht mehr auf den Erwerbsersatz von maximal 196 Franken pro Tag angewiesen seien. Das sind gerade mal vier Prozent.
Ähnlich ist die Situation in Luzern und St. Gallen, wo bisher erst zwei respektive sieben Prozent auf den Erwerbsersatz verzichten. Immerhin hat knapp ein Drittel der Selbständigen das Verzichtsformular im Kanton Bern ausgefüllt.
Corona-Schlaumeier profitieren
«Es melden sich tatsächlich sehr wenige Selbständige, die freiwillig auf den Corona-Erwerbsersatz verzichten», bestätigt der Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen, Andreas Dummermuth (59). Insgesamt schätzt der Bund die Kosten, die allein durch die Verlängerung des Erwerbsersatzes anfallen, auf rund eine Milliarde Franken.
Dass es kaum Verzichtserklärungen gibt, dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass viele Restaurant-Besitzer, Kino-Betreiber oder Hoteliers nach wie vor weniger Kundschaft haben – und deshalb auf die Hilfe angewiesen sind. Allerdings wird es unter den Selbständigen auch viele Schlaumeier geben, die von den Geldern profitieren – obwohl sie wieder voll verdienen.
«Bund muss genauer hinschauen»
Daran stört sich FDP-Nationalrat und Gastro-Unternehmer Andri Silberschmidt (26). «Spätestens nach der Aufhebung des Lockdowns hätte der Bund genauer hinschauen müssen», sagt er. Schliesslich könne man jeden Steuerfranken nur einmal verteilen. «Und so, wie der Bund jetzt vorgeht, besteht die Gefahr, dass die Hilfe nicht bei denjenigen ankommt, die sie tatsächlich brauchen.»
Dass das System missbraucht werden kann, weiss der Bund. «Es funktioniert sicher nicht perfekt», räumt Harald Sohns vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein. «Aber es ist schlicht unmöglich, jeden Einzelfall zu prüfen.» Man zähle darauf, dass sich die Selbständigen solidarisch und anständig verhalten.