Liberal – trotz allem!

Rede anlässlich des Kongresses der Jungfreisinnigen Schweiz vom 16. März 2019 (es gilt das gesprochene Wort, die Rede wurde in Deutsch und Französisch gehalten)

Ich bin jetzt seit 8 Jahren im Jungfreisinn aktiv. Auf allen Stufen durfte ich mitwirken und ich habe noch keinen Tag bereut, dass ich mitmache. Weder von der Sache her noch von den Menschen. Aber jetzt, am Ende von meinem dritten Jahr als Euer Präsident, muss ich Euch sagen; ich bin ungeduldig und ich bin auch unzufrieden. Nicht mit den Jungfreisinnigen, aber mit den Entwicklungen in der Schweizer Politik.

Natürlich konnten wir in diesen 8 Jahren kommunal, kantonal und eidgenössisch Erfolge feiern und vieles bewegen.

Ich erinnere mich an unseren Einsatz gegen einen Leistungsausbau der AHV, der nicht finanziert gewesen wäre. Zwei erfolgreiche Abstimmungskämpfe konnten wir massgeblich in unserem Sinne beeinflussen. Zuerst kam die AHVplus Initiative von der SP und den Gewerkschaften, welcher wir die rote Karte gezeigt haben und zusammen mit fünf anderen Jungparteien konsequent bekämpft und abgelehnt haben. Danach kam die Altersvorsorge 2020, welche ebenfalls von der SP massgeblich gestaltet und unterstützt wurde. Wir haben das Gesetz als Rentenmurks betitelt, lautstark und erfolgreich bekämpft. Zwei SP-Vorlagen fanden vor dem Volk keine Mehrheit. Damit konnten wir zwar schlimmeres verhindern, die Sozialwerke sind aber nach wie vor nicht saniert.

Der Reformstau in unseren Sozialwerken ist besorgniserregend. Wenn ich daran denke, dass die Debatte um eine vernünftige Finanzierung der Pflege uns noch bevorsteht, dann ahne ich nichts Gutes. Es braucht hier unseren unerschütterlichen und unerschrockenen Einsatz für tragfähige Lösungen, die generationengerecht sind und die Stabilität der Sozialwerke sicherstellen, ohne dabei die Eigenverantwortung zu vergessen. Wir sind uns alle einig, dass nach zwei gescheiterten Ausbauvorlagen der AHV es nun dringend an der Zeit ist, nachhaltige Reformen in die Wege zu leiten. Wir warten dabei nicht wie bisher auf die parlamentarische Arbeit, sondern werden mit dem Ergreifen einer Volksinitiative die Zügel selbst in die Hand nehmen. 

Wir haben nicht nur bei der Altersvorsorge Erfolge gefeiert. In verschiedenen kommunalen und kantonalen Wahlen wurden Mitglieder der Jungfreisinnigen gefördert und Wahlerfolge verbucht. Die Jungfreisinnigen Schweiz zählen neben den drei jüngsten Ständeräten mehreren Mitgliedern im Nationalrat in ihren eigenen Reihen. Fast zwei duzend Kantonsrätinnen und Kantonsräte, über 50 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte und über 300 Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte komplettieren eine starke Vertretung in unterschiedlichen Gremien.

Wir Jungfreisinnige haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir keine Klamauk-Partei sind, sondern ernsthaft und überzeugt bereits in jungen Jahren Verantwortung wahrnehmen. Als Banker würde ich sagen: das ist unser grosses Asset. Es bedingt aber auch, dass wir unseren Einsatz darauf fokussieren, wo unser Wirkungskreis ist. Deshalb halte ich nicht viel von Nebenschauplätzen, wo wir vor allem der politischen Konkurrenz einen Gefallen tun. Insbesondere im Wahljahr ist die Geschlossenheit ein nicht unwesentlicher Faktor. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir zusammenhalten, denn nur so bringen wir unsere Energie zu Boden.

Neben Abstimmungserfolgen auf nationaler Ebene und Wahlerfolge auf allen Ebenen ist es uns auch gelungen, die Mitgliederbasis markant auszubauen. Wir zählen heute über 3000 Mitglieder aus allen Landesteilen und mit verschiedenen Lebensgeschichten. In verschiedenen Rankings gelten wir als eine der aktivsten Jungpartei im Land.

Aber wenn wir ehrlich miteinander sind: trotz diesen Erfolgen ist der Liberalismus in der Schweiz nach wie vor in der Defensive – die Pole von links und rechts, die mehr miteinander verbindet als sie eigentlich meinen, dominieren, verhindern Lösungen, und schwächen die Freiheit des Einzelnen. Es gibt einen bunten Strauss an Themen, wo sich ganz links und ganz rechts zusammentun, und Fortschritte in der Schweiz verhindern. Meist mit einem Tunnelblick, ohne dabei zu merken, dass die Welt sich auch ohne uns weiterdreht. Man hat das Gefühl, die Schweiz sei eine Insel der Glückseligen und unser Wohlstand sei Gott gegeben. Diese Ignoranz vor zukünftigen Herausforderungen macht mich ungeduldig und unzufrieden. Denn die Freiheit jedes Einzelnen ist in Gefahr.

Freiheit ist ein gutes Stichwort, wenn es um die Europapolitik geht. Viele unter uns werden von der Reisefreiheit, die dank Schengen gilt, bereits Gebrauch gemacht haben. Einige waren bestimmt auch schon an einer europäischen Universität oder haben einen Sprachaufenthalt in Europa absolviert. Und wenige sind bereits international als Unternehmer tätig und wissen von der Bedeutung von geregelten wirtschaftlichen Beziehungen mit unseren Nachbarn. Wenn wir also von Europa sprechen, geht es primär um Freiheiten, die wir Schweizerinnen und Schweizer haben dürfen. Deshalb ist klar: wir können kein ernsthaftes Interesse daran haben, dass es der Europäischen Union schlecht geht. Und dennoch tun die Gewerkschaften und die SVP so, als ob Verträge, die über ein Jahrzehnt alt sind, auf Lebzeiten keiner Weiterentwicklung bedürfen und der Status Quo auch in einigen Jahrzehnten noch das höchste der Gefühle sei.

Natürlich intensivieren wir den wirtschaftlichen Austausch mit Länder auf der ganzen Welt – auch dank den grossen Anstrengungen von alt Bundesrat Schneider-Ammann mit vielen neuen Freihandelsabkommen. Der Fakt, dass das Handelsvolumen vom Bundesland Baden-Württemberg demjenigen von China entspricht, zeigt auf, dass wir die wirtschaftliche Bedeutung in der aktuellen Europadebatte nicht einfach negieren können. Gerade als Liberale wissen wir, dass gute Rahmenbedingungen für die Unternehmer die Grundlage für ein gutes Zusammenleben und finanzierbare Sozialsysteme sind. 

Natürlich heisst das nicht, dass wir jeden Wunsch, den die Europäische Union an uns richtet, diskussionslos umzusetzen haben. Aus diesem Grund war es nichts als richtig, dass Bundesrat Cassis das vorläufige Verhandlungsergebnis des institutionellen Abkommens öffentlich gemacht hat. So kann die Debatte in der Schweiz stattfindet. Der Vorstand der Jungfreisinnigen Schweiz hat dabei auch seine Hausaufgaben gemacht. Wir fordern rechtsverbindliche Verbesserungen beim Abkommen, insbesondere eine Einschränkung des Wirkungsfeldes des europäischen Gerichtshofs und eine explizite Ausnahme der Unionsbürgerrichtlinien. Wir sind uns aber auch den Chancen bewusst, welche eine geregelte Partnerschaft mit sich bringt: neue wirtschaftliche Abkommen würden unsere Unternehmen leistungsfähiger machen, um auch in Zukunft gute Löhne bezahlen zu können. Die Gewerkschaften und die SVP haben sich in diesem Thema aber verrennt, in dem sie von Beginn an auf eine konstruktive Diskussion verzichtet haben und lieber eine protektionistische Politik fahren, welche unser Wohlstand aufs Spiel setzt.

Ganz links und ganz rechts tut sich auch zusammen, wenn es darum geht, der technologischen Entwicklung Steine in den Weg zu legen. Anstatt mit Zuversicht neue Herausforderungen anzupacken, sehen sie diese generell als Gefahr für Mensch und Arbeit. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, lautend ein bekanntes Sprichwort, das kaum treffender für die Digitalisierungspolitik der Schweiz stehen kann. Seien es Netzsperren für unliebsame, auf der Welt legalen Inhalte oder die neusten Ideen, eine Link-Steuer für Inhalte von Verlagen einzuführen: in Bundesbern verfällt man regelmässig dem Irrglauben, mit Gesetzesparagraphen die Grundfreiheiten des Internets nach Schweizer Gusto einzuschränken. Strukturkonservative treffen sich nicht nur dort, wo es um die Regulierung des Internets geht, sondern auch bei verkrusteten Strukturen des Arbeitsmarktes. Das Arbeitsgesetz stammt aus dem Jahr 1964. Damit ist wohl schon alles gesagt…

Wie wir sehen, ist die Freiheit in Gefahr, vom linken und rechten Pol zerrieben zu werden. Was heisst das konkret? Am Anfang eines solchen Kongresses, wo wir ja nicht nur miteinander Politik machen, sondern auch miteinander feiern und festen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder wir resignieren und überlassen das Feld endgültig denjenigen, die glauben, der Staat muss alles richten, oder denjenigen die glauben, früher war alles besser, also stecken wir den Kopf in den Sand, bis es wieder ist wie früher.

Oder die andere Alternative ist: wir bohren weiter unsere dicken Bretter. Erleiden dabei Rückschläge, sind auch als Jungfreisinnige nicht immer sicher, was die richtige Antwort ist, haben auch innerparteiliche Diskussionen, aber: wir machen etwas, wir erzielen kleine und mittlere Erfolge, wir sind hör- und wahrnehmbar, wir erfüllen – um für einmal mit Christoph Blocher zu sprechen – einen Auftrag, nämlich den Auftrag, in allen Lebensbereichen für eine liberale Grundeinstellung und für liberale Lösungen zu kämpfen.

Für die Freiheit einzustehen ist nicht immer bequem. Ein aktuelles Beispiel ist der Diskurs in der Klimapolitik, wo es differenzierte Haltungen nicht einfach haben. Der Liberale kämpft in diesem Fall gegen Verbote von links und die Klimaskepsis von rechts. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir der Umwelt Sorge tragen müssen und insbesondere irreversible Schäden an der Natur minimiert gehören. Dass es dazu Regeln braucht, die alle zu befolgen haben, ist eine logische Konsequenz, um den Konsum Einzelner auf Kosten aller zu vermeiden. Die Verschmutzung der Umwelt hat seinen Preis, der durch die Verursacher zu bezahlen ist. Bestenfalls aber vermindern wir die Verschmutzung und investieren – wie wir das in den letzten Jahren erfolgreich gemacht haben – in die Forschung und Entwicklung. Dies soll einerseits dazu führen, dass wir neue Methoden finden, um bestehende Eingriffe in die Natur bestmöglich abzufedern (Stichwort: CO2 aus der Luft saugen) und andererseits, um unser Alltag umweltverträglicher zu gestalten (Stichwort: Dekarbonisierung der Wirtschaft). Diese Erkenntnis braucht kein neues Adjektiv vor dem Parteinamen, sondern ist für die Jungfreisinnige eine Selbstverständlichkeit.

Unsere Positionen haben ihren Ursprung in unseren Überzeugungen und sind nicht opportunistisch veranlagt. Entsprechend stark sind wir im Auftritt und konzis in unserer Argumentation. Wir wissen aber auch, dass Beständigkeit in den Positionen kein Widerspruch zur klassisch schweizerischen Lösungsfindung über alle Parteigrenzen hinweg ist. Als Nicht-Regierungspartei obliegt uns zwar nicht die Aufgabe, Kompromisse zu finden, jedoch haben wir diese stets zu beurteilen – im Wissen, dass selten sämtliche Forderungen erfüllt sein können. Wer beständig ist, geht den Schritt in die richtige Richtung, ohne stur auf seinen Maximalforderungen sitzen zu bleiben. Denn wir alle wollen freiheitlichen Fortschritt in der Schweiz.

Wir sprechen Themen an, die unbequem sind und von anderen lieber unter den Tisch gekehrt würden.  Es ist das Privileg einer Jungpartei, mutig zu sein und beherzt für die eigenen Anliegen einzustehen, auch wenn der Wind in eine andere Richtung weht. Denn wir wissen, dass sich Mut langfristig auszahlt. Unerschrocken sein heisst aber nicht, dass wir blind durch die Gegend laufen. Die, welche mich gut kennen, haben sicherlich bemerkt, dass mir Strategie und Taktik ein grosses Anliegen ist. Nicht immer die, welche zuerst und am lautesten schreien, haben bis zum Ende genug Puste, um sich Gehör zu verschaffen. In den letzten 7 Jahren als Präsident einer Jungfreisinnigen Sektion habe ich gelernt, dass ein kühnes Vorgehen nur dann erfolgsversprechend ist, wenn man sich gründlich eine Strategie vorbereitet hat.

Das tolle an diesem zweiten Weg – der Weg des bohren von dicken Brettern – ist, dass wir ihn miteinander gehen können. Wir, in den Gemeinden, in den Kantonen und auf Schweizerischer Ebene, um immer wieder zu erleben, dass Politik auch kann Spass machen. Es ist mir eine Ehre, die Jungfreisinnigen präsidieren zu dürfen.

Geniesst die Zeit bei den Jungfreisinnigen, postet auf allen Kanälen – nicht nur dieses Wochenende – für was und wieso ihr Euch einsetzt. Wir sind das Bindeglied von der Jugend und der Politik und wir alle sind Botschafter, egal auf welcher Ebene und wie stark wir uns engagieren.

Auch in diesem Jahr gibt es wieder einige, welche zum ersten Mal an einem Kongress mit dabei sind. Ich gratuliere Euch zu diesem Entscheid, denn ihr werdet ihn nicht bereuen.  

Es stehen spannende thematische Debatten an, Reden von verdienten Persönlichkeiten und ein Rahmenprogramm, das wie der Namen schon sagt nur einen Rahmen vorgibt, denn die Hauptattraktion sind wir alle, welche das Wochenende zu dem machen, was es ist. Ihr habt morgen die Gelegenheit einen Vorstand zu wählen, der die Partei durch das turbulente Wahljahr führen darf. Ich kann Euch schon heute versichern: wir allen werden alles, wirklich alles, daransetzen, dass die Jungfreisinnigen am 20. Oktober 2019 als Sieger dastehen. Nämlichen mit jungen Vertretern im Parlament und eine erstarkte Basis, die 700 Neumitglieder zählt.

Schiesst Fotos bei unserer Fotowand, lasst Euch beim Tanzen ablichten oder teilt Eure Gedanken zu unseren Traktanden, so dass der Jungfreisinnige Elan noch viel mehr Menschen erreicht, als dass er es heute schon tut. Nutzt die Hashtags #jfsk19 für den Kongress und generell #jfs19 für das Wahljahr.

Die Politik bei den Jungfreisinnigen ist Genuss und Spass zugleich, da wir respektvoll, offen, vertrauenswürdig, direkt und ehrlich im Umgang untereinander sind. Pflegen wir weiter diesen wertvollen Austausch und nehmen wir Rücksicht auf alle Meinungen, denn nur so haben wir eine breite Basis mit Menschen aus verschiedenen Regionen und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Das macht es spannend und das macht uns besser.

Ich danke an dieser Stelle herzlichst dem Organisationskomitee, welche viel Arbeit und Herzblut in die Vorbereitung des Kongresses gesteckt haben, unserem Generalsekretariat um Maja und Diego, die das ganze Jahr sehr verlässlich für uns alle arbeiten und dem Vorstand, welcher auch im letzten Jahr unzählige Stunden für die Freiheit eingesetzt hat.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen unvergesslichen Kongress 2019 mit vielen schönen Momenten, an die wir uns noch lange erinnern werden.

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