Steigt das Rentenalter auf 66, könnte die Zuwanderung um einen Viertel reduziert werden. Trotzdem arbeiten Parlamentarier nun an einem Gegenvorschlag zur Volksinitiative der Jungfreisinnigen. Denn ein höheres Rentenalter stösst auf Skepsis in der Bevölkerung.
von Francesco Benini
Rentenalter 66 ab dem Jahr 2032, dann wird das Rentenalter weiter im Einklang mit der durchschnittlichen Lebenserwartung erhöht. Das fordern die Jungfreisinnigen in einer Volksinitiative, für die sie 107’000 gültige Unterschriften gesammelt haben. Anfang 2023 beraten die zuständigen Kommissionen des Bundesparlaments die Vorlage.
Mit dem Plan der Jungpartei wäre die AHV langfristig solide finanziert – darüber gibt es keinen Zweifel. Das Problem ist aber: Die Stimmberechtigten haben der Erhöhung des Rentenalters für Frauen im vergangenen September nur knapp zugestimmt. Ein späteres Rentenalter ist nicht populär in der Bevölkerung.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt verweist nun auf ein neues Argument. Er stützt sich auf einen Forschungsbericht des Instituts Ecoplan, der vom Bundesamt für Sozialversicherungen in Auftrag gegeben worden ist. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Zuwanderung in die Schweiz nach einer Erhöhung des Rentenalters um 23 Prozent sinken könnte.
Zuwanderung steigt nach Coronakrise wieder
Wenn die Beschäftigten im Inland länger arbeiten, suchen die Unternehmen weniger Arbeitskräfte im Ausland. Das führt zu einer Reduktion der Zuwanderung. Der Forschungsbericht rechnet mit diesem Resultat, sofern sich die Konjunktur und der Arbeitsmarkt entwickeln wie im Modell, das der Berechnung zugrunde liegt.
«Man kann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen», sagt Silberschmidt. Die Umsetzung der Initiative sichere die AHV auch für die jüngeren Generationen. Zugleich trage ein höheres Rentenalter dazu bei, dass die Zuwanderung in die Schweiz abnehme.
Im vergangenen Jahr lag die Nettozuwanderung bei 61’500 Personen. «Nettozuwanderung» bedeutet die Zahl der Zugezogenen abzüglich der Zahl der Menschen, die das Land verlassen haben. Im laufenden Jahr kommen mehr Leute: Setzt sich die Entwicklung fort, die das Bundesamt für Migration von Januar bis September feststellte, wächst die ständige ausländische Wohnbevölkerung im Jahr 2022 um 72’500 Personen.
Das ruft die SVP auf den Plan. Sie will die Zuwanderung 2023 zum Thema ihres Wahlkampfes machen. Fraktionschef Thomas Aeschi hat die Lancierung einer Volksinitiative angekündigt. Die ist nun aber zurückgestellt worden. Die Volkspartei sammelt bereits Unterschriften für die 200-Franken-Initiative zu den SRG-Gebühren und für die Neutralitäts-Initiative. Das muss einstweilen genügen.
Die SVP will sich nicht festlegen
Das Zögern der Volkspartei hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit tief ist und es in vielen Branchen an Fachkräften fehlt. Erschwerend kommt hinzu: In den kommenden Jahren gehen viel mehr Menschen in Pension, als Junge in den Arbeitsmarkt nachstossen. Das könnte den Personalmangel in vielen Wirtschaftszweigen noch verschärfen – und die Zuwanderung in die Schweiz weiter ankurbeln.
Unterstützt die SVP nun die Renteninitiative, welche die Zuwanderung um fast einen Viertel senken könnte? «Ich bin mir nicht sicher, ob es der richtige Zeitpunkt für einen solchen Schritt ist», sagt Nationalrat Thomas de Courten. Die Zurückhaltung hat damit zu tun, dass ein höheres Rentenalter an der Basis der Partei umstritten ist.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt hat registriert, dass die Unterstützung der SVP auf sich warten lässt. Die Mitte-Partei regt derweil ein anderes Modell an: die Lebensarbeitszeit. Entscheidend wäre nicht mehr das Pensionsalter; es zählen die geleisteten Arbeitsjahre. Akademiker würden damit später pensioniert als Handwerker. Denkbar ist eine Lebensarbeitszeit von 44 Jahren.
Lebensarbeitszeit für den Tieflohnsektor
Silberschmidt ist nun daran, einen überparteilichen indirekten Gegenvorschlag zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen auszuarbeiten: Rentenalter 66, Koppelung des künftigen Rentenalters an die durchschnittliche Lebenserwartung – aber der Tieflohnsektor wäre davon ausgenommen. In diesen Berufen würde das Rentenalter von der Lebensarbeitszeit abhängen.
Nun feilen bürgerliche Politiker an diesem Gegenvorschlag. Fest steht: Die AHV wird gestärkt durch das Rentenalter 65 für Frauen – aber schon ab 2030 zeichnet sich eine Unterfinanzierung ab. Ein höheres Rentenalter für alle würde dieses Problem lösen. Weil die Bevölkerung aber skeptisch ist, braucht es wohl eine Abmilderung.
Matthias Müller, der Präsident der Jungfreisinnigen, nimmt derweil erfreut zur Kenntnis, dass die Annahme seiner Initiative die Zuwanderung reduzieren würde. «Die Erhöhung des Rentenalters führt auch zu einer höheren Arbeitsmarktbeteiligung der älteren Personen im Inland», sagt er. Hiesige Unternehmen müssten also weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren. «Unsere Initiative vermindert die Nettozuwanderung bis 2050 um fast 25 Prozent.»