1. Februar 2016
In 5 Wochen stimmen wir über die «Durchsetzungsinitiative» der SVP ab. Was auf den ersten Blick sympathisch erscheinen kann, erweist sich bei genauer Betrachtung als Angriff auf unsere bewährten Institutionen wie auch als unnützes Instrument. Ein Kommentar.
Um was geht es?
Das Schweizer Volk hat am 28. November 2010 die «Ausschaffungsinitiative» angenommen, welche zum Ziel hat, kriminellen Ausländern das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Das Parlament hat im Anschluss an die Volksabstimmung das Schweizerische Strafgesetzbuch angepasst und die Ausschaffungsinitiative umgesetzt. Das Gesetz listet in Art. 66a Abs. 1 eine Reihe von Delikten auf, welche unabhängig von der Höhe der Strafe zu einer Verweisung führen. Diese umfassen beispielsweise:
- Mord, vorsätzliche Tötung
- Raub, Betrug, Erpressung, Diebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch
- Vergewaltigung, Pornografie
- …
In Abs. 2 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eingebaut, dass von einer Ausweisung abgesehen wird, wenn es sich um einen «Härtefall» handelt. Dies bedeutet, dass «das öffentliche Interesse an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht [überwiegt].» Der Gesetzestext nimmt somit insbesondere Bezug auf Personen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind (Secondos).
Diese «Härtefallklausel» stört die SVP, weshalb sie die Durchsetzungsinitiative lanciert hat. In der Konsequenz heisst dies, dass beispielsweise ein Familienvater, der noch nie in seiner Heimnation war und seit Jahren in der Schweiz Steuern bezahlt, bereits bei einer «qualifizierten Störung des öffentlichen Verkehrs» (Art. 66a Abs. 1. lit. k.) das Land zwingend verlassen muss.
Das Parlament und somit die Mehrheit der Parteien waren der Ansicht, dass jeder Fall vor einer definitiven Ausschaffung einzeln geprüft werden soll. Die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative wäre per 1. Januar 2016 in Kraft getreten, wenn die SVP keine neue Initiative lanciert hätte.
Diese strikte Umsetzung der Ausschaffungsinitiative unterstütze ich. Wir sind uns alle einig, dass schwerkriminelle Ausländer grundsätzlich ihr Aufenthaltsrecht verlieren sollen.
Die Durchsetzungsinitiative der SVP verlangt nun eine automatische und zwingende Ausschaffung bei gewissen Delikten, ohne einer Härtefallprüfung.
Wieso ist diese Initiative abzulehnen?
- Angriff auf die Gewaltentrennung
Die Aufteilung der staatlichen Gewalt zwischen der Legislativen, Exekutiven und Judikativen garantiert Stabilität und Rechtssicherheit. Diese Eigenschaften sind eine grundlegende Voraussetzung für eine intakte Volkswirtschaft sowie freie Gesellschaft. Die SVP-Initiative greift diese urschweizerische Gewaltentrennung an, indem sie die Richter und damit die Judikative Gewalt mit ihrem Ausschaffungs-Automatismus quasi entmündigt. Die SVP will, dass das Gesetz nicht mehr vom Richter im Einzelfall ausgelegt werden kann, sondern direkt in der Bundesverfassung verankert sein soll. Der Ermessensspielraum der richterlichen Gewalt wird arg eingeschränkt. Ein solcher Angriff auf unsere bewährten (!) Institutionen ist unüberlegt und unschweizerisch.
- Verhältnismassigkeit wird untergraben
Die Durchsetzungsinitiative nimmt keine Rücksicht auf den Einzelfall. So kann es gut vorkommen, dass ein Ausländer, der seit Geburt in der Schweiz lebt, arbeitet und integriert ist, ausgeschafft werden muss, weil ihm beim Abrechnen der Sozialleistungen ein Fehler unterlaufen ist (Punkt V. im Initiativtext) und er vor 8 Jahren aufgrund eines Bagatelldeliktes zur einer Geldstrafe verurteilt wurde (Punkt I. Abs. 2 im Initiativtext). Das Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 in der Bundesverfassung) wird mit Füssen getreten.
- Ausser Spesen nichts gewesen
Bereits heute erweist es sich als mühsam, Ausländer konsequent aus zuschaffen. Dies hat mehrere Gründe. Einerseits tauchen viele (in der Schweiz?) unter und verschwinden spurlos (allein 5‘347 Personen im Jahr 2015, gem. NZZ am Sonntag vom 31.01.2016). Weiter benötigt die Schweiz mit den Herkunftsländern der Täter ein Rückführungsabkommen, um eine Ausschaffung zu vollziehen. Solche Abkommen fehlen oft, wie beispielsweise mit den Staaten Marokko und Algerien. Zuletzt schützt Art. 25 der Bundesverfassung wie auch die Durchsetzungsinitiative Flüchtlinge vor einer Ausschaffung in ein Land, in welchem sie verfolgt werden. Abscheuliche Taten, wie sie in Köln in der Silvesternacht vorgefallen sind, würden unter diesem (juristischen) Aspekt selbst mit der Durchsetzungsinitiative nicht zu einer Ausschaffung führen.
Die Durchsetzungsinitiative wird wohl nicht zu mehr Ausschaffung führen, sondern primär den Effekt erzeugen, dass sich mehr Ausländer einbürgern werden. Zudem warnt ein amtierender Bundesrichter bereits heute von massiven Vollzugskosten, die mit Annahme der Durchsetzungsinitiative dem Steuerzahler zur Last fallen würden (Schweiz am Sonntag vom 09.01.2016).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Annahme der Durchsetzungsinitiative kaum einen Mehrwert gegenüber der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bringt. Die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, welche bei der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative in Kraft treten würde, verlangt eine konsequente Ausschaffung von schwerkriminellen Ausländern unter Beibehaltung des Rechtsstaates und der Härtefallprüfung. Diese Umsetzung ist weise und zeugt von Respekt vor unseren Institutionen und insbesondere der Judikativen Gewalt. Die Durchsetzungsinitiative ist ein Angriff auf urschweizerische Prinzipien wie der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismässigkeit. Eine Annahme würde zu massiven Kosten ohne spürbaren Mehrwert führen.
Mit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative wurde die Ausschaffungspraxis zu Recht verschärft. Im Allgemeinen muss weiterhin versucht werden, Rückführungsabkommen mit verschiedenen Staaten wie Algerien oder Marokko abzuschliessen, um eine Ausschaffung krimineller Ausländer zu vollziehen. Mit diesen Bemühungen sowie einer konsequenten Anwendung des neuen Strafgesetzbuches haben wir einen schweizerischen Weg gefunden, um kriminelle Ausländer unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit auszuschaffen.
Aus diesen Überlegungen sage ich aus Überzeugung Nein zur Durchsetzungsinitiative am 28. Februar 2016.