Wie schätzen Sie das System der Altersvorsorge in der Schweiz ein?
Mit dem 3-Säulen-System haben wir in der Schweiz ein ausgeklügeltes System, für das wir insb. aus dem Ausland viel Lob erhalten. Allerdings sind die ersten beiden Säulen, die AHV und die berufliche Vorsorge, etwas marode und reformbedürftig.
Welche finanziellen Herausforderungen sehen Sie für die Schweizer Altersvorsorge?
Die zwei grössten Herausforderungen, der unsere Altersvorsorge gegenübersteht und dies massive finanzielle Auswirkungen haben, sind die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung. Wie bereits erwähnt: Bis 2050 werden in der Schweiz 1 Mio. Menschen über 65 Jahren mehr leben als heute. Das sind 1 Mio. Menschen, die eine AHV-Rente beziehen und keine Beiträge an die AHV mehr bezahlen werden. Das bringt das Umlageverfahren der AHV aus dem Gleichgewicht. Gleichzeitig leben wir immer länger. Dadurch muss das in der 2. Säule angesparte Kapital immer länger reichen respektive wird den Rentnerinnen und Rentnern mehr ausbezahlt, als sie überhaupt einbezahlt haben. Dieses Geld wird niemandem belastet, sondern in diesem Umfang dem Kapital der Erwerbsbevölkerung weniger Zinsen gutgeschrieben werden. Das heisst konkret: Anstelle einer Verzinsung des Kapitals von bspw. 3% erhält die Erwerbsbevölkerung, die noch für ihre Pensionierung spart, nur 2.5% Zins. 0.5% werden für die Finanzierung des zu hohen Umwandlungssatzes verwendet. Man geht davon aus, dass jährlich ca. CHF 500 Mio. an Rückstellungen für zu hohe Umwandlungssätze gebildet werden müssen, was eins zu eins bei der Verzinsung des Kapitals der erwerbstätigen Bevölkerung fehlt.
Denken Sie, das derzeitige Finanzierungsmodell der AHV ist zukunftssicher? Welche Reformen halten Sie für notwendig?
Die AHV funktioniert im Umlageverfahren. Dieses funktioniert nur so lange, wie Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen sind. Der Blick auf die AHV-Finanzperspektiven zeigt, dass der AHV in den nächsten Jahren ohne Reformbestreben und Massnahmen grosse Defizite drohen. Die heutige Situation ist nicht nachhaltig.
Im Grunde genommen gibt es drei Möglichkeiten, um die AHV-Finanzen langfristig im Lot zu halten: I) strukturelle Massnahmen, II) Mehreinnahmen und III) alternative Finanzierungsmöglichkeiten.
Von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten wie den Geldern der Schweizerischen Nationalbank sind zwischenzeitlich selbst die Befürworter solcher Massnahmen abgekommen. So hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund eine entsprechende Unterschriftensammlung abgebrochen.
In den vergangenen Jahren setze man stark auf Mehreinnahmen. So erhöhte man mit der Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) die Lohnabzüge sowie den Bundesbeitrag und mit der AHV 21 die MwSt. um 0.4 Prozentpunkte. Mehreinnahmen für die AHV bedeuten immer mehr Abgaben zu Lasten der Bevölkerung. Man finanziert zwar die AHV, schmälert aber gleichzeitig die Kaufkraft der Menschen in unserem Land.Bleiben noch strukturelle Massnahmen wie die Erhöhung des Rentenalters. Diese stellt sicher, dass die Erwerbsjahre und Bezugsjahre im Gleichgewicht bleiben und die AHV-Renten langfristig finanziert bleiben. Bei dieser Massnahme muss man zwar etwas länger arbeiten, wird aber nicht während des ganzen Erwerbslebens von über 40 Jahren immer stärker belastet. Meiner Meinung nach ist die Erhöhung des Rentenalters klar die beste und sozialverträglichste Massnahme, um die AHV-Finanzen im Lot zu halten.
Hat sich die AHV im Laufe der Jahre genügend an die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen angepasst? Wenn nein, wieso? Was wäre nötig gewesen?
Nein. Das sieht man einerseits daran, dass wir seit der Einführung der AHV im Jahr 1948 zwar insg. 10 Jahre länger eine AHV-Rente beziehen, jedoch noch immer durchschnittlich 44 Jahre einzahlen. Diese Rechnung kann langfristig nicht aufgehen.
Andererseits sieht man es am Reform-Rhythmus: Während die AHV in ihren Anfangsjahren regelmässig reformiert wurde, hatten es grosse Reformvorhaben in den letzten Jahren sehr schwer.
Wie wirken sich demografische Veränderungen auf die AHV aus und wie können die durch diese entstehenden Herausforderungen bewältigt werden?
Wie bereits ausgeführt, führt die demografische Entwicklung zu einem Ungleichgewicht zwischen arbeitstätiger Bevölkerung, welche die AHV-Renten finanziert, und der Bevölkerung im Rentenalter, die AHV-Renten bezieht. Das führt weiter zu Mehrausgaben, die langfristig zu einem grossen Schuldenberg führen.
Wie könnte eine ideale Reform der AHV aussehen, die sowohl finanzielle Stabilität als auch soziale Gerechtigkeit gewährleistet?
Eine ideale Reform berücksichtigt die strukturellen Herausforderungen, vor denen die AHV steht, sowie die Lebensrealitäten gerade von körperlich stark belasteten Berufsgruppen gleichermassen. Weiter anerkennt sie über die Erhöhung der Ergänzungsleistungen, die ebenfalls in unserer Bundesverfassung verankert sind, den Umstand, dass es Menschen gibt, bei denen die AHV ihren Verfassungsauftrag der angemessenen Existenzsicherung nicht erfüllt.
Was wären die möglichen Folgen, wenn keine signifikanten Reformen an der AHV durchgeführt werden?
Die AHV schreibt Umlagedefizit um Umlagedefizit, die zu Lasten des AHV-Fonds gehen. Irgendwann wird dieser aufgebraucht sein. Schreibt die AHV dann weiterhin Umlagedefizite, werden drastische Erhöhungen von Steuern und Abgaben nötig oder aber die Verschuldung steigt massiv an. Beides sind schlechte Voraussetzungen für unseren individuellen Wohlstand.