Vom Kiffer zur FDP-Hoffnung: Die steile Karriere des Andri Silberschmidt

Einst brach er das Gymnasium ab, heute ist der 31-Jährige einer der erfolgreichsten Parlamentarier und Mitfavorit fürs FDP-Präsidium. Aber will der junge Vater auch?

Vater eines Kleinkinds, Verwaltungsratspräsident des eigenen KMU, Nationalrat, Vizepräsident der FDP Schweiz, Sekretär des Planzer-Verwaltungsrats: Die meisten würden sich mit einem solchen Pensum nicht noch Zusatzaufgaben aufladen. Andri Silberschmidt denkt ernsthaft darüber nach. «Ich überlege mir eine Kandidatur als Präsident der FDP Schweiz», sagt er. Er wolle sich aber Zeit lassen. Eine solche Weichenstellung könne man nicht über Nacht vornehmen. 

Entscheidet sich der Zürcher FDP-Nationalrat für eine Kandidatur, hat er gute Chancen, am Ende auch gewählt zu werden. Parteipräsident mit 31 Jahren. Aber die freisinnige Zukunftshoffnung hat auch andere – vielleicht attraktivere – Optionen.

Sicher ist: Andri Silberschmidt ist ein Streber. Das sagt nicht nur, wer ihn kennt. Er hat sich auch schon selbst so bezeichnet. «Wenn mich etwas reizt, dann gehe ich voll dahinter», sagt er. Mit dieser Einstellung wurde der Zürcher auch erstmals Nationalrat, als 25-Jähriger.

Eigentlich hatte der damalige Präsident der Jungfreisinnigen nur Aussenseiterchancen. Aber Silberschmidt stand monatelang um Viertel nach 5 auf, stieg um 6 Uhr im Fitnesscenter aufs Laufband und hörte während des Trainings die Vorlesungen einer Londoner Universität. Um halb 8 kam er im Büro an, nach Feierabend am frühen Abend machte er Wahlkampf bis 22 Uhr. Er überliess nichts dem Zufall: «Ich schlüsselte mein Wählerpotenzial für jede einzelne Postleitzahl auf», sagt er. 

Mit Erfolg. Silberschmidt wurde 2019 als jüngster Parlamentarier in den Nationalrat gewählt und verdrängte dabei Hans-Ulrich Bigler, den damals schweizweit bekannten Direktor des Gewerbeverbands.

Der Streber machte einen «Fehler»

Er ist ein Getriebener geblieben. Den Wahlkampf für die Wiederwahl 2023 hatte er schon mehr als ein Jahr zuvor bis ins Detail durchgeplant. Entsprechend flossen die Spendengelder. 280’000 Franken hatte Silberschmidt bereits Monate vor der Wahl gesammelt.

Doch dann machte der Streber einen «Fehler» (O-Ton Silberschmidt). Er deklarierte die Spenden als einer der Ersten gegenüber der Eidgenössischen Finanzkontrolle, obwohl er sich bis anderthalb Monate vor den Wahlen hätte Zeit lassen können. Dabei bedachte er nicht, dass die Angaben sogleich im Internet publiziert werden. Entsprechend gross waren die Schlagzeilen.

Geschadet haben sie Silberschmidt nicht. Sein Ziel war, «zweitbester Freisinniger im Kanton» zu werden. Er war überzeugt, Regine Sauter als Ständeratskandidatin nicht überholen zu können. Doch Silberschmidt täuschte sich. Er holte 80’724 Stimmen – mehr als alle anderen Freisinnigen, auch mehr als Regine Sauter. Mit damals 29 Jahren.

«Von einem Extrem ins andere gekippt»

Silberschmidt war allerdings nicht immer ein Streber. Mit 15 Jahren kiffte er, hörte Rappern statt Lehrern zu und brach das Gymnasium ab. «Ich bin von einem Extrem ins andere gekippt», sagt er. Die Wende brachte die Banklehre bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) in Hombrechtikon. Dort sagte ihm Lehrmeister Widmer nach jeder schlechten Französischnote: «So läuft das hier nicht.» Lehrling Silberschmidt musste jeweils zusätzlich Stunden büffeln, bis er genügende Noten erreichte.

Nicht nur der Lehrmeister diente dem jungen Andri als Vorbild. Geprägt habe ihn auch der Vater, ein Sportlehrer und ehemaliger Trainer der Schweizer Tischtennis-Nationalmannschaft. Den Ehrgeiz habe er von ihm, sagt Silberschmidt.

Er absolvierte die Berufsmatur, studierte an der Fachhochschule Betriebswirtschaft und schloss mit einem Master in Finance an einer Londoner Uni ab. Vor allem aber machte er politisch von sich reden. Als 17-jähriger ZKB-Lehrling sprach er an einer Zürcher 1.-August-Feier – als Vorredner des damaligen FDP-Ständerats Felix Gutzwiller. Er redete drei Minuten über seine Wunsch-Schweiz und dachte: «Viel erreicht habe ich damit noch nicht.»

Also stieg Andri Silberschmidt in die Politik ein. Die SP war ihm zu links, die SVP zu konservativ, und eine jungfreisinnige Sektion gab es in seinem damaligen Wohnbezirk Hinwil noch nicht. Folglich gründete er eine und wurde ihr erster Präsident. Mit 17 Jahren. Mit 19 wurde Silberschmidt Präsident der Zürcher Jungfreisinnigen, mit 22 Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz.

Sitzungen während des Joggens

Unter ihm hat die Jungpartei an Schlagkraft gewonnen und die sogenannte Renteninitiative lanciert. Diese wollte das AHV-Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen und es anschliessend an die durchschnittliche Lebenserwartung koppeln. Doch das Volk sagte mit 75 Prozent Nein. Silberschmidt bezeichnet «das ungelöste AHV-Problem» als eine seiner grössten Niederlagen.

Seiner Politkarriere hat die plebiszitäre Abfuhr aber nicht geschadet. Er ist seit 2021 FDP-Vizepräsident und gilt jetzt als einer der Favoriten für die Nachfolge von Thierry Burkart.

Ideal ist der Zeitpunkt für ihn nicht. Denn er ist seit wenigen Monaten Vater. Ein Arbeitstag pro Woche ist seither als Papitag reserviert. Und abends ist er nur noch drei- statt fünf- bis sechsmal weg. Seine Work-Life-Balance bezeichnet er als «mittlerweile ganz gut». Manchmal brauche es eben Kreativität: Die Sitzungen mit seinem Geschäftspartner finden regelmässig als Jogging-Runden statt.

Hat da ein Parteipräsidium noch Platz? «Ich arbeite bereits heute drei bis vier Stunden pro Tag ehrenamtlich für die FDP», sagt Silberschmidt. Als Präsident hätte er einfach andere Aufgaben. Viel wichtiger als diese Vereinbarkeitsdiskussion sei ohnehin eine ganz andere Frage, sagt er: «Bin ich die richtige Person als Präsident? Oder bringe ich der Partei nicht mehr in meiner jetzigen Rolle?»

Er versteht sich gut mit dem Generalsekretär

Für die FDP, die alles daran setzt, einen geeinten Eindruck zu hinterlassen, wäre Silberschmidt eine Identifikationsfigur. Gleichzeitig könnte er Thierry Burkarts Kurs fortsetzen, selbst wenn er bei gewissen Themen – etwa der Asylpolitik – weniger SVP-nah kommuniziert. Auch in der EU-Frage würde Silberschmidt die Partei nicht vor eine Zerreissprobe stellen. Er bezeichnet sich als «pro Bilaterale», will sich aber bei der derzeit heiss diskutierten Frage nach dem Ständemehr noch nicht festlegen.

Kommt hinzu, dass sich Silberschmidt gut mit Generalsekretär Jonas Projer versteht. «Er hat ein gutes Gespür für aufkommende politische Themen und wird in der Fraktion breit geschätzt», sagt der Vizepräsident.

Und was hält man im Bundeshaus von Silberschmidt? Er sei ein Teamplayer und hervorragender Sparringspartner, sagt FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher. Auch politische Gegnerinnen wie SP-Nationalrätin Sarah Wyss empfinden den 31-Jährigen als angenehm im Umgang und dossierfest.

Lieber Regierungsrat als Parteipräsident

Silberschmidt könnte es auch gelingen, die Jungen besser anzusprechen. Er hat über 15’000 Follower auf Tiktok. Und er weiss aus Erfahrung bei den Jungfreisinnigen, wie man aus einer Partei eine Bewegung macht. Die FDP ist diesbezüglich gegenüber den Linken im Hintertreffen.

Bereits als Vizepräsident arbeitet Silberschmidt daran, hier aufzuholen.Die Kommunikation soll digitaler, schneller und weniger hierarchisch werden. Mehr E-Mails, Social Media und Whatsapp-Nachrichten – dafür weniger Plakate und Anzeigen.

Vor vier Jahren winkte der Zürcher Nationalrat noch ab, als es um die Nachfolge von Parteipräsidentin Petra Gössi ging. Es sei noch zu früh, sagte er. Jetzt steht er erneut vor der Frage, ob er nach dem prestigeträchtigen Amt streben soll. Oder ob er auf den «verschissenen Job» verzichtet, wie ihn der frühere FDP-Präsident Franz Steinegger einst bezeichnete.

Vielleicht kann er sich ja 2027 in den Zürcher Regierungsrat wählen lassen. Oder irgendwann in den Bundesrat. Dort stünde ihm – anders als bei der Partei – ein grosser Stab zur Verfügung.

Der erfolgreichste Motionär

Als Brückenbauer wäre Silberschmidt für ein Regierungsamt prädestiniert. Ihn interessiert die Sache, nicht die Polemik. Er reicht seine Vorstösse deshalb meist überparteilich ein, um die Chancen auf eine Umsetzung zu erhöhen. Mit Erfolg. Eine Auswertung von SRF vor den Wahlen 2023 ergab, dass Andri Silberschmidt der erfolgreichste Motionär ist. Sechs von acht seiner Motionen wurden angenommen. 

Auch beruflich hat der 31-Jährige Erfolg. Seine Poké-Bowl-Kette Kaisin, die er mit drei Freunden gegründet hat, läuft. Sie zählt bereits elf Standorte und 140 Mitarbeitende. Silberschmidt ist dort Verwaltungsratspräsident. Darüber hinaus ist er Verwaltungsrat der Jucker-Farm und Sekretär des Verwaltungsrats bei Planzer Transport.

Er hat also mit 31 Jahren schon viel erreicht. Mehr als andere in ihrem ganzen Leben. Aber es würde im Bundeshaus niemanden wundern, wenn er schon bald nach einem höheren Posten streben würde.

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