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Welche Politik wirklich im Interesse der Arbeitnehmenden ist

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren

Der 1. Mai – der Tag der Arbeit – wird jedes Jahr genutzt, um zeitlose Ideologien kundzutun, wie genau man was im Interesse der Arbeitnehmenden zu tun habe. Manchmal habe ich das Gefühl, es findet ein Wettlauf um die extremste Forderung statt.

«Arbeitszeitverkürzung jetzt!»

vpod

So heisst es zum Beispiel: 35 Stunden Woche für alle! Mit dieser Forderung zeigen die Urheber schonungslos auf, dass Arbeiten in ihrem Sinne per se etwas Schlechtes sei. Umso weniger, desto besser. Dabei hat die Arbeit für viele Menschen etwas Sinnstiftendes: Gerade während der Coronapandemie haben viele Menschen im Home-Office oder in Kurzarbeit gemerkt, dass ihnen etwas fehlt. Ich denke dabei an einen befreundeten Koch, der aufgrund der Restaurantschliessungen in Kurzarbeit war. Die ersten Wochen ohne Arbeit konnte er geniessen. Doch mit fortschreitender Kurzarbeit verschlechterte sich seine Stimmung, bis er mir einmal sagte, er wisse nicht, weshalb er am Morgen überhaupt noch aufstehe. Das zeigt mir: Arbeit ist sinnstiftend.

Vielmehr als eine 35 Stunden Woche für alle braucht es innovative Arbeitsmodelle, welche den individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmenden Rechnung tragen. Diese können aber können per Definition nicht vom Gesetzgeber verordnet werden. Denn: Ein Gesetz kann weder innovativ sein noch auf die Bedürfnisse einzelner Menschen genügend Rücksicht nehmen.

Ich weiss von vielen Firmen, die bereits heute und von sich aus die Wochenarbeitszeit reduziert haben. Andere bieten mehr Ferien an. Dritte sehen für besonders fleissige Angestellte eine zusätzliche Vergütung vor. Innovative Arbeitsmodelle, die den individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmenden Rechnung tragen, sind also bereits heute Realität.

Nun liegt es an der Politik, einerseits die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Unternehmen diese Arbeitsmodelle weiterentwickeln können und andererseits dafür zu sorgen, dass keine Ausbeutung im Arbeitsmarkt stattfindet. Umso mehr aber immer mehr Detailregulierungen Eingang in unsere Gesetze finden, desto geringer wird der Spielraum für Unternehmungen, individuelle, auf die Arbeitnehmenden zugeschnittene Lösungen anzubieten. Für die Unternehmen wird schwieriger, sich zu differenzieren und grosszügiger zu sein, wenn man Forderungen der Politik zu erfüllen hat, die eigentlich gar nicht von den Arbeitnehmenden gewünscht waren.

«Hände weg vom Arbeitsgesetz!»

UNIA

Die Abneigung gewisser Kreise gegenüber der Arbeit als solches zeigt sich auch daran, dass sich die sich mit Händen und Füssen gegen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit wehren.

Das Schweizer Arbeitsrecht stammt aus dem Jahr 1964. In diesem Jahr hat meine Mutter ihren ersten Geburtstag gefeiert. Es liegt auf der Hand, dass sich seither die Wirtschaft im Allgemeinden und die Arbeit im Konkreten stark gewandelt haben. Das Zeitalter der Fabrikarbeiter ist in der Schweiz vorbei.

Die Arbeit im 21. Jahrhundert zeichnet sich durch den steigenden Wunsch der Arbeitnehmenden nach Selbstbestimmung aus. Sie wollen heute mit- oder ganz entscheiden, wann, wie viel und von wo aus sie ihre Arbeit verrichten. Bedenkt man, dass wir in den nächsten 15 Jahren je nach Szenario bis zu 1,2 Millionen Arbeitskräfte benötigen werden, werden die Unternehmen aufgrund des Kampfes um Arbeitskräfte noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmenden eingehen (müssen). Die Arbeitnehmenden werden in der Folge immer stärker selbst bestimmen können, wie ihr Arbeitsalltag aussieht.

Ein starres gesetzliches Regelwerk schwächt somit direkt die Möglichkeiten des Einzelnen und damit den Schweizer Arbeitsmarkt. Gute und gesuchte Arbeitnehmende würden ihr Glück vermehrt im Ausland suchen und dort ihren Beitrag zu Innovation und einer steigenden Wertschöpfung leisten.

Wer meint, es müsse in der Schweiz immer noch verboten sein, dass jemand abends um 22 Uhr und morgens um 6 Uhr seine E-Mails checkt, der lebt hinter dem Mond. Viel wichtiger als solche Vorschriften ist, dass man den Arbeitnehmenden mehr Freiheiten gewährt. Wir sollten den Menschen mehr Vertrauen schenken und ihren individuellen Bedürfnissen nachkommen!

«AHV 21 ist erst der Anfang – Rentenaltererhöhung ist Rentenabbau»

Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)

Inwiefern die Angestellten für ideologischen Maximalforderungen missbraucht werden, zeigt sich in der destruktiven Politik rund um die Sicherung der Altersvorsorge: Mit dem Referendum gegen die AHV 21-Reformvorlage wird die AHV – unser wichtigstes Sozialwerk – fahrlässig gefährdet. Mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente macht man nicht finanzierbare Versprechen und man will eine finanziell stark angeschlagene AHV weiter ausbauen.

Wirklich im Interesse der Arbeitnehmenden ist aber, dass sie Aussicht auf eine planbare, stabile Altersrente haben. Diese ist heute gefährdet!

2015 feierten in der Schweiz erstmals mehr Personen ihren 65. als ihren 25. Geburtstag. Bis 2050 wird es in der Schweiz 1 Million Menschen über 65 Jahren mehr geben als heute. Das heisst: Wir müssen rund 1 Million mehr Rentenbezüger, die keine Beiträge mehr einzahlen, finanzieren. In Franken ausgedrückt heisst das ein prognostiziertes, kumuliertes Defizit von 200 Milliarden Schweizerfranken für die AHV. Dies entspricht den Kosten von 16 NEAT-Basistunneln.

Wurde der Bau der NEAT zurecht als Generationenprojekt bezeichnet, ist die Sanierung der AHV ein Generationenprojekt hoch 16! Geling es uns nicht, das strukturelle Defizit der AHV zu lösen, gibt es nur zwei Alternativen:

  • Eine massiv höhere Steuerbelastung (also eine Verteuerung der Arbeit und/oder des Konsums)
  • oder eine Kürzung der Renten.

Beides ist nicht im Interesse der Arbeitnehmenden. Wird die Arbeit oder der Konsum teurer, belastet dies ganz direkt den Mittelstand: Kürzlich berechnete die Universität Luzern, dass das Ausbleiben einer strukturellen AHV-Reform für eine Mittelstandsfamilie eine höhere Steuerbelastung von 100’000 CHF zur Folge hätte.

Die Alternative wären Rentenkürzungen. Solche kommen für mich nicht in Frage.

Diese kleine Auslegeordnung zeigt auf, dass wir nicht darum herumkommen, das Rentenalter zu erhöhen. Seit Einführung der AHV hat die durchschnittliche Lebenserwartung um 10 Jahre zugenommen. Dies bei gleichbleibenden Beitragsjahren. Das heisst: Ohne länger einzubezahlen beziehen wir heute 10 Jahre länger eine AHV-Rente. Dass diese Rechnung nicht aufgehen kann, liegt auf der Hand.

Die Erhöhung des Rentenalters bringt drei Vorteile mit sich:

  • Erstens wird dadurch weniger lang eine volle Rente bezogen, was die AHV entlastet.
  • Zweitens zahlt man länger in die AHV ein, was die AHV ebenfalls entlastet.
  • Drittens ist man so länger auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Jede Erhöhung des Rentenalters der Frauen hat dazu geführt, dass ihre Arbeitsmarktfähigkeit zugenommen hat.

Eine strukturelle AHV-Reform führt also zu stabilen AHV Finanzen und ist somit im Interesse der Arbeitnehmenden.

Da wir bei der FDP einen konstruktiven Stil pflegen, möchte ich – nachdem ich auf die drei grössten Irrtümer der 1. Mai Umzüge eingegangen bin – über zwei Themen sprechen, die wirklich im Interesse der Arbeitnehmenden sind.

Erstens. Eine geringere finanzielle und regulatorische Belastung durch den Staat. Knapp 70 Prozent aller Schweizer Arbeitnehmenden arbeiten in KMU. Eine geringere finanzielle und regulatorische Belastung der KMU durch den Staat kommt direkt den Arbeitnehmenden zugute.

Desto mehr man sich als Arbeitnehmende um Regulatorisches kümmern muss, umso weniger Zeit hat man für produktive Arbeit. Es ist aber die produktive Arbeit, welche eins zu eins die Löhne der Arbeitnehmenden finanziert. Umso höher die Steuern und Abgaben ausfallen, desto geringer wird die Entlöhnung ausfallen.

Deshalb braucht es endlich einen Sinneswandel in der Politik, nicht alles ins letzte Detail regeln zu wollen!

Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor bürgerliche Politik wählen, gelingt es uns nicht, die Regulierungsflut zu stoppen.

Wahrscheinlich wird dies nur möglich sein, wenn wir das Budget des Staates auf dem heutigen Niveau einfrieren. Fallen neue Aufgaben an, sollten alte Aufgaben dafür effizienter gestaltet oder reduziert werden. Denn nicht alles, was der Staat vor 10, 20 oder gar 30 Jahren tat, ist heute in dieser Form noch sinnvoll. Ohne einer bedachten Ausgabenpolitik wird sich die öffentliche Verwaltung weiter verselbständigen und in Gebiete vordringen, in denen privaten Firmen aktiv sind.

Die unfaire Ausgangslage und der Verlust an Konkurrenzfähigkeit schadet direkt den Arbeitnehmenden.

Zweitens. Das lebenslange Lernen wird immer wichtiger. Ein gutes Angebot an Aus- und Weiterbildung ist zentral.

Ich bin davon überzeugt, dass der Arbeitsmarkt der Zukunft noch vielfältiger wird und dabei jede und jeder gebraucht wird. Was dabei klar ist: Einzig der Abschluss einer Lehre oder eines Studiums wird nicht ausreichen, um während des ganzen Erwerbslebens den sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Es ist im Interesse jedes einzelnen Arbeitnehmenden, sich auf der Arbeit aber auch in Bildungsinstitutionen in regelmässigen Abständen weiterzubilden. Die Stärkung des dualen Bildungssystem darf dabei nicht eine einfache, unbestrittene Floskel bleiben.

Konkrete Taten sind gefragt: Wir müssen die administrative Last von Lehrbetrieben senken, das unternehmerische Denken und Handeln in allen Lehrplänen verankern und die digitalen Kompetenzen massiv stärken. Zudem gehören die Profile und die Durchlässigkeit unter den Universitäten, Fachhochschulen und höheren Fachschulen gestärkt. Miteinander, nicht gegeneinander lautet hier das Credo.

Ein flexibler Arbeitsmarkt, eine sichere und planbare Altersvorsorge, eine tiefe Staatsquote und ein starkes Bildungssystem sind entscheidend, um weltweit eine der höchsten Wertschöpfungen nicht nur beizubehalten, sondern weiter auszubauen.

Verlieren wir diese Ambition, werden wir uns schneller als uns wohl ist im Mittelmass wiederfinden. Nicht einfach Mittelmass in den Statistiken, sondern ganz konkret in den Löhnen, im Lebensstandard, im Gesundheitswesen, etc.

Die Ereignisse der letzten zwei Jahren sollten uns gelehrt haben, dass nichts, wirklich nichts auf der Welt garantiert ist.

Wir haben in der Schweiz das Glück, unsere Gesetze selbstbestimmt anpassen zu können. In vielen wichtigen Dossiers wie dem Klimaschutz, dem Krieg in der Ukraine oder erst kürzlich in der Bewältigung der Pandemie hat die Schweiz ihre Verantwortung wahrzunehmen. Aber: Wir können dies nicht allein tun. Wir sind immer auf unsere internationalen Partner angewiesen.

Die attraktive Ausgestaltung Arbeitsrechts, die überfällige Sanierung unserer AHV oder das Ziel einer insgesamt tiefen Staatsbelastung haben wir selbst in der Hand.

Der 1. Mai ist ein guter Anlass, uns dies immer wieder bewusst zu werden. Dies ist eine grosse Verantwortung, aber eine noch grössere Chance.

Packen wir sie an. Denn diese Chance, dies konkreten Verbesserungen des Status Quo ist im Interesse der Arbeitnehmenden und damit im Interesse unserer Schweiz.

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