Anrede
Als ich von der Geschäftsstelle von ProMarca für eine Rede am Schweizerischen Markentag angefragt wurde, war ich für eine kurze Zeit verblüfft. Was um Himmels Willen soll ich ausgewiesenen Markenspezialistinnen und -spezialisten über Marken erzählen, arbeiten doch die meisten von Ihnen selbst bei einer renommierten Marke. Die Anfrage hat mich zum Denken angeregt… Es war mir schnell klar, dass ich heute nicht damit punkten würde, wenn ich mit einer Analyse über die Konsumgewohnheiten von Millenials auftauchen würde. Denn davon verstehen Sie mehr als ich.
Trotz oder gerade wegen diesen Gedanken habe ich damit begonnen, den Markenbegriff für mich persönlich zu definieren. Zuerst ging ich auf die Homepage des Verbandes Pro Marca, wo ich auf einen Blick die Mitglieder ausfindig machen konnte – ich stiess quasi auf das digitale Lexikon der Schweizer Marken. Was auf den ersten Blick auffällt – neben sehr bekannten und starken Brands – ist, dass die meisten Marken mit dem Kürzel «AG» – für «Aktiengesellschaft» – enden. Und so kam bei mir die Frage auf: sind heute vor allem grössere Unternehmen Marken? Sie würden diese Suggestivfrage wohl schnell verneinen. Doch was hat dies zur Folge: was ist beispielsweise mit der Bloggerin auf Instagram mit 200 tausend Followern? Ist sie auch eine Marke oder nicht? Oder ein Fussballer bei der Schweizer Nationalmannschaft? Sie werden sich denken: ja klar, auch diese Menschen sind irgendwie auch eine Marke, auch wenn sie nicht Teil des digitalen Lexikons für Schweizer Marken sind. Die für mich spannende Frage war dann aber: was unterscheidet einen Fussballspieler von einer Bloggerin oder von einer klassischen Marke? Gehen wir zusammen auf Spurensuche.
Der Fussballer muss – und das hat sich in den letzten 20 Jahre nicht geändert – auch noch heute von einem Scout entdeckt werden. Der Verlauf seiner Karriere ist abhängig von sehr vielen verschiedenen Faktoren: die Abhängigkeit beginnt bei den Möglichkeiten der Familie, ihren Sprössling zu unterstützen. Danach wird der Verein, die Kollegen, der Trainer oder auch der Verlauf der Pubertät einen wichtigen Einfluss haben. Und ist man nicht schon von genug Faktoren abhängig, muss man zuletzt das Glück haben, von einem Scout entdeckt zu werden. Eine Fussballerkarriere ist somit nach wie vor geprägt von wenigen, wichtigen Leuten. Doch wieso erzähle ich das?
Nicht nur Fussballer, sondern auch Models, Schauspieler oder Musiker waren früher abhängig von mächtigen Playern. In der Welt der Künstler waren es Verlage, welche über Erfolg und Misserfolg entschieden habe – man wurde nur zu einer Marke, wenn wenige, wichtige Leute einem dazu verholfen haben. Doch anders wie bei den Fussballern hat sich diese Praxis in der kreativen Welt dank des Aufkommens von sozialen Netzwerken schlagartig verändert. Heute läuft es völlig anders ab: in wenigen Schritten erstellen Model, Schauspieler oder Musiker ihr eigenes Instagram-Profil und plötzlich steht Ihnen nach ein paar Klicks die ganze Welt offen – weg ist die Abhängigkeit von wenigen, wichtigen Leuten.
Man gewinnt heute dank herzigen Katzenfotos oder Kochkurse für Anfänge tausende von Followern, wird somit zu einer eigenen Marke und hat die Möglichkeit, die Gefolgschaft entsprechend zu monetarisieren. Und dass dieser Trend erst vor Kurzem begonnen hat, macht das Ganze noch unglaublicher, nicht? (10 Sekunden Sprechpause)
Wenn ich heute über die Zukunft von Marken und Jungpolitikern spreche, ist es mir ein Anliegen, Ihnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen, und mögliche Handlungsmassnahmen zu skizzieren. Obwohl es für manche den Anschein erwecken kann, dass die sozialen Netzwerke die Arbeit hinter dem Erfolg einfacher machen, ist dies nicht der Fall. Und genau über diese Erfolgsfaktoren will ich heute mit Ihnen sprechen. Denn ich bin überzeugt: wir alle in diesem Saal – inklusive ich als Jungpolitiker – können einiges von diesem aufkommenden Phänomen aufnehmen und das nützliche für uns persönlich mitnehmen. Denn hinter dem Erfolg dieser Influencer stecken Faktoren, welche man in der Politik aber auch in der Geschäftswelt sich zu Herzen nehmen kann. Viele diese Faktoren sind nicht neu und dennoch bin ich der Überzeugung, dass eine Rückbesinnungen auf ebendiese mehr Wert schaffen kann – im ökonomischen wie auch im gesellschaftlichen Sinn.
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Eine nicht abschliessende Aufzählung dieser Erfolgsfaktoren könnte sein: Authentizität, Absicht, Leidenschaft, Geduld, Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit. Die ersten drei Schlagwörter sind einfach erklärt. Authentizität? Sei immer Dich selbst und respektiere Dein Umfeld. Absicht? Kümmere dich darum, was Du machst. Nur wer ein wirkliches Interesse hat, sich einer Herausforderung zu stellen, wird diese mit entsprechendem Erfolg meistern können. Leidenschaft? Das ist selbsterklärend. Ohne Authentizität, einer klaren Absicht und viel Leidenschaft hat man heute keinen Erfolg in den sozialen Medien.
Die Begriffe Geduld, Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit – insbesondere die Kombination dieser drei Erfolgsfaktoren – bedürfen nun aber eine kurze Erläuterung, die ich anhand von Beispielen aus meinem Alltag vornehme.
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Geduld. Wenn ein 24-Jähriger wie ich von der Notwendigkeit der Geduld spricht, mag dies seltsam sein. Doch gerade als Politiker erlebe ich es oft, dass Prozesse länger dauern, als man sich das aus der Geschäftswelt gewohnt ist. Das ist nichts Neues und mag auch ärgerlich sein. Doch jede Medaille hat eine Kehrseite. Diese lang anhaltenden Prozesse führen meistens zu ausgeklügelten und gut funktionierenden Kompromissen. In der Politik ist man quasi berufsbedingt schon einmal sehr geduldig – ohne dieser Fähigkeit wird man nicht lange Freude am Politisieren haben.
Doch wie kann man Geduld in der Berufswelt lernen? Der einfachste Weg, um da geduldig zu sein, sind begrenzte finanzielle Mittel. Mir kommt da insbesondere die Aufbauphase meines Gastronomie Start-Ups kaisin. in den Sinn. (Spontan über Wortherkunft und Konzept erzählen.)
Zusammen mit 4 Freunden haben wir im vergangenen Jahr nach einer erfolgreichen Pop-Up Phase eine GmbH mit 20 tausend Schweizerfranken Stammkapital gegründet. Dieses Geld musste für die Eröffnung von 2 Standorten ausreichen. Im Januar dieses Jahres ging es dann los, und am 2. Februar hatte ich grössere Zahlungen – insbesondere Lohnzahlungen – zu tätigen. Der Kontostand war danach noch bei 300 Schweizerfranken. Von diesem Moment an war uns klar: wir haben keinen grossen finanziellen Spielraum mehr und können nur noch mit den Einnahmen aus dem operativen Cashflow Investitionen tätigen. Es mag nun alles sehr banal tönen, doch plötzlich überlegt man sich, ob man Werbeflyer diese oder erst nächste Woche in den Druck geben soll. Diese erzwungene Geduld hat uns etwas ganz besonders gezeigt: wir müssen zwingend auf den Kunden hören. Ohne einem starken Kundenfokus würde der Cashflow innert kürzester Zeit einbrechen, was unser Geschäft von der einen auf die andere Woche wohl zerstört hätte. Es galt die Devise: jeder zusätzlich investierte Franken wird fortan darauf ausgerichtet, das Kundenerlebnis zu bereichern mit dem Ziel, einen höheren Absatz zu generieren.
Ich kann Entwarnung geben: wir haben trotz dem beinahe Bankrott bis heute überlebt. Und die Geduld hat sich doppelt ausbezahlt: wir waren sehr vorsichtig auf der Ausgabenseite und haben nur dort Geld ausgegeben, wo wir einen direkten Einfluss auf die Ertragsseite erwartet haben. Das hat zu einer stetigen Steigerung der Ertragsseite geführt, was uns wiederum ermöglicht, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dieses Beispiel soll aber nicht heissen, dass Risikoaverses Verhalten stets richtig ist. Doch darauf komme ich später noch zu sprechen.
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Geschwindigkeit. Geschwindigkeit heisst für mich in erster Linie, dass man die Zeit, welche einem zur Verfügung steht, weise und effizient nutzt. Ich will nun aber nicht näher darauf eingehen, dass ich auch schon während dem Rasieren einen Podcast meines Master-Studiengangs geschaut habe… Sie könnten sonst meinen, der Jungpolitiker spinnt nun völlig…
Geduld und Geschwindigkeit mögen sich auf den ersten Blick widersprechen. Wieso dies nicht der Fall ist, soll folgendes Beispiel illustrieren: Geschwindigkeit zeugt von der Fähigkeit, sich wirklich auf das zu konzentrieren, wo man die eigenen Stärken hat, um sich so Zeit für weitere Aktivitäten freizuschaufeln, wo man entweder Ruhe findet oder sich aktiv einbringen kann. Bei der Kampagne gegen das Geldspielgesetz haben wir zum Beispiel den Nachrichtendienst Slack verwendet. Slack erlaubt es, für verschiedene Herausforderungen entsprechende Kommunikationskanäle zu erstellen; Kanäle zur Koordination von Social-Media-Posts, für das Medienmonitoring, für eine Übersicht der finanziellen Lage, für die Planung von Inseraten, usw. Dies geht bis zu einem Kanal «random», der einzig dazu dient, sich gegenseitig zu unterhalten. Es haben nur die Leute, welche im entsprechenden Channel etwas beizutragen hatten, auch Zugang zu diesem. Diese Art der Arbeit erlaubte es uns, höchst effizient und über verschiedene Stakeholder hinweg ein Grossprojekt zu stemmen.
Was bringt das nun für einen konkreten Nutzen mit sich? Erstens: weniger Sitzungen. Man wird dort einbezogen, wo andere Leute oder man selbst findet, dass man wirklich etwas zu sagen hat. Entscheidungen werden dort diskutiert, wo auch die Entscheidungskompetenz ist. Trotz meines jugendlichen Alters habe ich nur zu oft Situationen erlebt – vor allem in der Politik – wo man Dinge bespricht, über die man gar nicht zu befinden hat. «Schön haben wir darüber gesprochen» lautete meist nach hitzigen Diskussionen die Devise. Eine konsequente Arbeitsteilung in Projekten hilft somit, Zeit freizuschaufeln. Und wer nicht genügend Lust oder Energie hat, diese freie Zeit für neue Aktivitäten zu nutzen, kann in dieser Zeit einfach zur Ruhe finden und Energie tanken. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, einen sehr grossen Workload innert sehr nützlicher Frist zu erledigen. Wenn mich Leute fragen, «wie ich denn alles unter einen Hut bringen kann», weiss ich selbst nie eine gute, passende Antwort. Doch je länger ich darüber nachdenken, umso eher komme ich zum Schluss, dass es eine Frage der Geschwindigkeit ist. (Dass darunter auch die Qualität leiden kann, ist kaum zu vermeiden. Da kommt das Pareto-Prinzip am besten zur Anwendung: wirklich wichtige Tasks sollen auch die entsprechende Priorität erhalten, dass die Qualität stimmt. So stelle ich zum Beispiel bei Ferien die mindestens eine Woche lang dauern konsequent mein Mailpostfach ab, um mich wirklich zu erholen und den Energiespeicher zu füllen.)
Aus diesen Erfahrungen habe ich noch zwei Tipps für alle Lebenslangen für Sie mit dabei, beide aus dem sehr empfehlenswerten Buch «Getting Things Done»: erledigen Sie alles, was weniger als 2 Minuten dauert, sofort. Und schreiben Sie sich alle Gedanken und To Do’s an einem zentralen Ort auf, um den Kopf frei zu haben.
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Aufmerksamkeit. Dieser Erfolgsfaktor kann in zwei Subfaktoren aufgeteilt werden: Fokus und Aufmerksamkeit.
Es braucht einen Fokus auf das Wesentliche aber auch die Aufmerksamkeit, neue Trends nicht zu verpassen. Fokus. Wir haben uns bei den Jungfreisinnigen vor zwei Jahren entschieden, unsere politische Arbeit auf vier grosse Megatrends zu fokussieren. Das sind die Digitalisierung, die Individualisierung, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnung und die demografische Entwicklung. Wir können nicht den Anspruch haben, für jedes Thema das aufpoppt eine abschliessende Meinung zu haben. Wir wollen uns dort äussern, wo wir eine Aktivlegitimation haben. Das verschafft uns Glaubwürdigkeit. Diese Fokussierung erlaubt es uns schlussendlich auch, bei wenigen Themen nicht nur glaubwürdig zu sein, sondern auch die Meinungsführerschaft zu erlangen. So haben wir im letzten Jahr an vorderster Front erfolgreich die Altersvorsorge 2020 bekämpft und waren danach 9 monatelang gegen das technologiefeindliche Geldspielgesetz aktiv. Wir haben uns somit auf «nur» zwei Themen fokussiert, konnten aber auf dem nationalen Politparkett damit definitiv Fuss fassen und sind nun eine reale Kraft in der Schweizer Politik.
Bei aller Fokussierung ist es aber auch wichtig, neue Trends nicht zu verpassen. Es soll vermieden werden, dass man sich im Nachhinein die Frage stellen muss, wieso man einen grundlegenden Trend verpasst hat. Wichtig ist dabei, dass man die eigenen Ressourcen weiterhin stark auf die Megatrends fokussiert, aber immer noch etwas Platz für Experimente lässt. So waren wir beispielsweise die erste Partei, welche Spenden in Cryptowährungen angenommen hat. Nicht dass wir dachten, bald eine Partei mit Millionen Vermögen zu sein. Ehrlich gesagt habe ich seit der Lancierung dieser Spendemöglichkeit nicht mehr nachgeschaut, was der aktuelle Kontostand ist – womit ein Millionen Vermögen nicht ausgeschlossen ist… Spass bei Seite: Dieses Experiment gibt uns erste Erfahrungen mit einer neuen Technologie, welche uns noch lange beschäftigen wird und die Möglichkeit, ein Nischenthema zu erkunden. Nur wer selbst neue Trends ausprobiert hat auch die Glaubwürdigkeit, über eben diese zu sprechen.
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So bin ich der Ansicht, dass die Zukunft von Marken – und jetzt spreche ich von grossen Brands wie die Mitglieder von ProMarca solche sind – stark von diesen sechs Erfolgsfaktoren, welche auch über Erfolg und Misserfolg von Influencer entscheiden, abhängig sind. Es sind jedoch nur die Marken, welche davon profitieren. Auch wir Jungpolitiker können uns eine Scheibe davon abschneiden.
Ich habe nun viel über Authentizität, Absicht, Leidenschaft, Geduld, Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit gesprochen. Es ist mir klar, dass Sie in den kommenden Tagen oder auch unmittelbar nach meinem Referat nicht alle Begriffe mehr im Kopf haben. Doch wenn Sie sich nur einen dieser Erfolgsfaktoren merken und in ihren Alltag integrieren, so bin ich schon mehr als glücklich.
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Wie sieht nun die Zukunft von Jungpolitikern, ja von der ganzen Politik aus? Ich wage die Behauptung zu äussern, dass die Marken und deren Influencern uns etwa ein Jahrzehnt voraus sind. Und dies nicht nur in der Art und Weise der Werbung, nein: auch in der Kommunikation mit Stakeholdern und im generellen Auftritt nach aussen. Und hier komme ich zurück auf meine Bemerkung von vorhin beim Thema Geduld, dass Risikoaversion nicht immer der erfolgreichste Weg für die Zukunft ist.
Wir Politikerinnen und Politiker sind im Grundsatz zu risikoavers. Was es braucht, kann man in einem Wort zusammenfassen: Experimentierfreudigkeit.
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Ich bin der klaren Überzeugung, dass die Zukunftsaussichten der Politik nur dann rosig sind, wenn wir selbst mehr Experimente wagen und diese auch zulassen. Experimente brauchen wir in der Politik, der Wirtschaft und in der Gesellschaft.
Wenn ich von der Politik spreche, denke ich nicht nur Gesetze und Verordnungen, sondern primär auch an uns Parteien – inklusive den Jungfreisinnigen und der FDP. Denn Parteien sind immer noch gleich organisiert wie im letzten Jahrhundert. Die Digitalisierung ist zwar ein politisches Thema, aber irgendwie an den Parteien vorbeigezogen. Parteipolitik besteht auch heute noch primär aus Sitzungen, welche in den meisten Fällen von 19 bis 21 Uhr mit anschliessendem Schinken-Gipfeli-Apéro im Restaurant Löwen stattfinden. Welche junge Mutter oder welcher pubertierende Teenager hat Zeit und Lust, Teil einer solchen Sitzung zu sein? Und ganz allgemein gefragt: ist es überhaupt noch sexy, sich an eine Partei zu binden? Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, zumal die Jungfreisinnigen nach wie vor ein Neumitglied pro Tag begrüssen dürfen und ich nach wie vor überzeugt bin, dass Parteien kein Auslaufmodell sind, wenn man sich genug Mühe gibt.
Doch, wie lange wird dies noch so sein? Wir Jungpolitiker haben es in der Hand, Reformen innerhalb der Partei anzustossen, doch sind auch wir der Gefahr ausgesetzt, aufgrund des täglichen Austauschs mit altverdienten Politgrössen unsere jugendliche Herangehensweise zu verlieren. Das mag zwar im Endeffekt bei der Durschnittswählerschaft, die doppelt so alt ist wie ich, einen seriösen Eindruck hinterlassen. Es wertet das Image von der Politik bei der jungen Zielgruppe aber nicht zwingend auf. Man gilt schnell als spiessig und «einer von denen». Umso wichtiger ist es, dass wir Jungpolitiker uns immer wieder aktiv aus der eigenen Blase bewegen und unser Auftritt ständig erneuern. Während meinem Gemeinderatswahlkampf im 1. Quartal dieses Jahres habe ich dies beispielsweise mit Hausbesuchen praktiziert: wenn Sie 3 bis 4 Mal wöchentlich abends mit fremden Leuten ins Gespräch kommen, sind die schnell im Alltag anderer Personen angekommen. Dieses «ausserhalb der Box Denken» braucht Mut und auch genügend Zeit – und es braucht einen vorübergehenden Verzicht, denn man kann nicht gleichzeitig an vorderster Front einen Abstimmungskampf führen und nebenbei noch die Partei erneuern. Das ist auch das spannende an der Politik, insbesondere an den Jungparteien. Sie sind ein Sandkasten wo man schnell vieles kreieren kann, wenn es aber nicht läuft, auch nicht viel kaputtgeht.
Dieses Verlassen der Blase rate ich übrigens nicht nur Politikerinnen und Politikern an, sondern das ist ein genereller Tipp an Sie alle: das letzte Mal, als ich ganz unfreiwillig meine Blase verlassen habe war, als ich in den Ferien kein Buch mehr zu lesen hatte. Meine Freundin hat mir ihr Buch «Lean In», geschrieben von Sharyl Sandberg (COO von Facebook), ausgeliehen. Ich bin vorher nie auf die Idee gekommen, ein Buch zu lesen, das primär Frauen adressiert die sich dafür interessieren, was Hindernisse für eine erfolgreiche Karriere sein können. Doch die Lektüre dieses Buches hat mir in so vielen Dimensionen die Augen geöffnet und mir einen Blickwinkel auf gewisse Themen gegeben, den ich in dieser Art sonst nie gehabt hätte. Innovation kann letztendlich nur dort passieren, wo wir unsere bekannten Muster verlassen und Neues wagen.
Eine Erneuerung schaffen wir nur dann, wenn wir als Partei auch Experimente eingehen. So müssen wir zum Beispiel neue Partizipationsmöglichkeiten schaffen. Es braucht einen digitalen Stammtisch abseits von Facebook und Twitter mit qualitativ hochstehenden Inputs und Anregungen. Es braucht viel mehr Kollaboration, viel mehr «best practice» und somit mehr Austausch untereinander – von Genf bis nach Kreuzlingen. Es braucht aber auch neue Wege, um direkt in das Leben der Menschen zu kommen, so dass die Politik wieder ein bewusster Teil des Lebens von allen ist. «Geht mich nichts an, interessiert mich nicht» soll der Vergangenheit angehören. Eine Stimmbeteiligung von unter 50 % soll nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein. (Das erreichen wir aber nur mit einem gesunden Selbstbewusstsein von uns Politiker, indem wir die Politik wieder als sexy und bürgernah rüberbringen können. Doch es bleibt nicht nur bei Experimenten innerhalb der politischen Arbeit.)
Experimente braucht dringend auch unsere Gesetzgebung, namentlich bei der Digitalisierung. Nicht, dass man mit Gesetzen experimentieren soll; verstehen Sie mich nicht falsch. Wir müssen uns aber damit abfinden können, dass die Politik nicht von A bis Z alles zu Ende planen und regulieren kann. Die Politik soll der Gesellschaft viel Raum zur Entwicklung eigener Ideen offenlassen soll. Das ist der Kern einer freiheitlichen Politik: wenn man der Meinung ist, dass jeder Mensch einzigartige Fähigkeiten hat, muss man als Politiker die Grösse haben, Menschen die Freiheit zu lassen, sich zu entfalten. Wir befinden uns mittendrin in einem gesellschaftlichen Umbruch, der getrieben ist durch die Digitalisierung. Die Digitalisierung macht es nämlich möglich, dass Menschen ganz neue Wege offenstehen, sich und ihr Unternehmen zu entwickeln. Dazu habe ich beim Thema Influencer bereits einige Gedanken verloren. Nun beginnt die Politik damit, Weichenstellung in der Digitalisierung zu stellen – 20 Jahre nachdem der Megatrend fussgefasst hat. Und es scheint mir, als ob die neuen Regeln auch eher auf das 20. Jahrhundert zugeschnitten sind.
(Wenn ich zurück an das Geldspielgesetz denke, wo man die Lizenz für ein Online-Casino an ein Beton-Casino geknüpft hat, frage ich mich, auf welche Ideen man als nächstes kommt. Muss Netflix bald ein Kino in der Schweiz bauen, um einer Netzsperre zu entgehen?) Die Digitalisierung wird in der Politik mehr gebremst als unterstützend begleitet. Am stärksten sieht man dieses Phänomen an Orten, wo Interessen der «old economy» auf solche der «new economy» treffen. Leider hat die «new economy» bis heute keine schlagkräftige Lobby. Politiker in Bundesbern, welche seit Jahrzehnten eine nahe Beziehung zur «old economy» pflegen, zeigen stets Mühe, wenn es darum geht, gleich lange Spiesse für alle zu implementieren. Ich denke da an Marken wie Uber oder AirBnb oder auch Booking, welche allesamt einen sehr schwierigen Stand haben. Man versucht stets, ihr Business Modell in Gesetze zu zwängen, welche im letzten Jahrhundert gemacht wurden, anstelle dass man sich die grundlegenden Gedanken macht, wie die Plattformwirtschaft am sinnvollsten gesetzlich integriert wird.
Ich bin der Überzeugung, dass viele dieser Firmen, welche sich teilweise im Graubereich der Regulierung bewegen, auch eine Verantwortung wahrnehmen müssen. Aber: man hilft weder der Digitalisierung noch den Konsumentinnen und Konsumenten, wenn man Neues stets mit alten Rezepten reguliert. Es bestehen noch viele offenen Fragen, sei es bei den Sozialversicherungen oder eine Vereinfachung des komplexen Steuersystems. Der Föderalismus lädt uns dazu ein, fortschrittliche Lösungen im Kleinen zu testen.
Auch die Wirtschaft und somit die Gesellschaft im Allgemeinen brauchen neue Impulse und neue Experimente. Wie wäre es beispielsweise, wenn wir alle einen Tag lang keine Mails schreiben würde? Quasi ein nationaler mailfreier Feiertag? Oder, dass die Arbeitgeber ihren Angestellten 10 % ihres Pensums völlig frei zur Verfügung stellen würden? Nicht, um shoppen zu gehen, sondern um innerhalb des Unternehmens selbst Tätigkeiten wahrzunehmen, die nicht Teil des Jobprofils sind. Ich bin mir sicher, dass die nächste Rednerin genau auf solche Themen eingehen wird.
HIER KOMMT NOCH EIN ABSCHNITT DAZU
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Was hat das nun mit Marken und Jungpolitikern zu tun? Marken sind Vorbilder in einer schnelllebigen Gesellschaft: ohne klare Ausrichtung und Botschaft verschwindet man. Dasselbe gilt auch für Jungpolitiker: wenn wir es nicht schaffen, unsere Visionen auf den Punkt zu bringen, tun es Andere, welche nicht im selben Ausmass wie wir von den Auswirkungen ihrer Politik leben müssen.
Genau diese Schnelllebigkeit erlaubt es aber nicht mehr, sich nur auf langfristige Business Pläne und Strategien zu verlassen. Ob in der Politik, in der Wirtschaft oder auch Gesellschaft wird es umso wichtiger sein, dass man agiler wird und sich anpassen kann. Einen Schritt in diese Richtung sind gerade neue Experimente, welche bestehende Strukturen herausfordern. Fordern Sie sich selbst heraus und versuchen Sie, täglich etwas Neues auszuprobieren – auch wenn es nur ist, einmal mit dem rechten statt linken Fuss aufzustehen, das ist allemal ein Anfang.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.