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Die demografische Herausforderung ist nicht gelöst!

Gastbeitrag zur AHV mit Diana Gutjahr (SVP TG) im St. Galler Trendmonitor für Risiko- und Finanzmärkte

Am 25.September 2022 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Reform AHV 21 an und stabilisierte damit das wichtigste Sozialwerk der Schweiz bis 2030. Doch die demografische Herausforderung bleibt bestehen: Im Jahr 2050 werden in der Schweiz eine Million mehr Menschen über 65 Jahren leben als heute. Damit deren Renten finanziert sind und es nicht wieder zu einem 25-jährigen Reformstillstand kommt, müssen Bundesrat und Parlament dringend eine nächste strukturelle Reform angehen.

Am 25. September 2022 ereignete sich Historisches: Die Schweizer Stimmbevölkerung sagte nach 25 Jahren des Reformstillstands erstmals Ja zu einer AHV-Reform mit strukturellen Elementen. Damit gelang es, die Finanzen des wichtigsten Sozialwerks der Schweiz zu stabilisieren. Zudem gewannen der Bundesrat und das Parlament wichtige Zeit, um die nächste AHV-Reform anzugehen. Denn trotz der nun beschlossenen Reform AHV 21 drohen der 1. Säule aufgrund der demografischen Entwicklung bereits ab 2029 wieder rote Zahlen.

Schuldenberg von über CHF 100 Mrd.

Gemäss dem Bundesamt für Statistik wird es im Jahr 2050 eine Million mehr Menschen über 65 Jahren in der Schweiz geben als heute.1 Das sind eine Million mehr Beitragsempfänger aus der AHV, die zudem keine AHV-Beiträge mehr bezahlen. Gleichzeitig führt die gestiegene respektive steigende Lebenserwartung dazu, dass wir immer länger eine AHV-Rente beziehen. Während bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 auf 44 Erwerbsjahre durchschnittlich 13 Bezugsjahre folgten, sind es heute bei gleichbleibenden 44 Erwerbsjahren bereits 23 Bezugsjahre. Dass dies ökonomisch nicht aufgeht, liegt auf der Hand.

Unternehmen wir nichts gegen diese strukturellen Herausforderungen, häuft sich in der AHV bis 2050 ein Schuldenberg von über 100 Mrd. Franken an; das entspricht den Kosten von acht Gotthard- Basistunneln.

Um die AHV nachhaltig zu sichern und den strukturellen Herausforderungen Rechnung zu tragen, hat das Parlament den Bundesrat damit beauftragt, bis zum 31. Dezember 2026 eine Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Zeit von 2030 bis 2040 auszuarbeiten. Zudem befinden sich mit der Initiative für eine 13. AHV-Altersrente des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes sowie der Renteninitiative der Jungfreisinnigen zwei AHV-Initiativprojekte im parlamentarischen Prozess.

Initiative für eine 13.AHV-Altersrente: Mehrausgaben von über 3 Mrd. Franken pro Jahr

Die Volksinitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes fordert eine 13. Auszahlung der monatlichen Altersrente, was einer Erhöhung der Renten um 8,33 Prozent entspricht. Die Initiative für eine 13. AHV-Altersrente führt direkt zu Mehrkosten von fast 4 Mrd. Franken im Jahr 2032 respektive von 5,75 Mrd. Franken im Jahr 2050. In Anbetracht der finanziellen Schieflage der AHV stellt die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes keinen valablen Vorschlag zur Sicherung des wichtigsten Sozialwerks der Schweiz dar.

Renteninitiative der Jungfreisinnigen: Wer länger lebt, soll länger arbeiten

Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen fordert die Erhöhung des heute geltenden Referenzalters von 65 Jahren auf 66 Jahre sowie eine anschlies- sende Kopplung an die Lebenserwartung. Ganz nach dem Grundsatz: Wer länger lebt, soll länger arbeiten.

Mit diesem Automatismus soll das gesamte System reformiert und entpolitisiert werden. Die Höhe des Referenzalters soll nicht mehr länger Spielball der Politik sein, sondern sich vorbehaltlos an der Realität orientieren. Sollte die durchschnittliche Lebenserwartung sinken, würde konsequenterweise auch das Referenzalter nach unten korrigiert.

Lebensarbeitszeit: Volle AHV-Rente erst nach 44 Beitragsjahren

Zurecht werden in der Diskussion um die Höhe des Referenzalters Berufe mit einer hohen körperlichen Belastung und deren Unvereinbarkeit mit einem höheren Rentenalter genannt. Obwohl es den Sozialpartnern bereits heute und analog dem Baugewerbe offen stünde, branchenspezifische Lösungen für einen flexiblen Altersrücktritt auszuhandeln, gilt es, diesen Punkt in der weiteren Diskussion um die Sicherung der AHV zu berücksichtigen.

Eine Möglichkeit stellt die Einführung einer Lebensarbeitszeit dar. Das heisst: Der Bezug einer AHV-Rente ist frühestens nach 44 Beitragsjahren möglich. So könnten Menschen, die eine Berufs- lehre absolviert und seit dem 18. Altersjahr ohne hohen Lohn durchgearbeitet haben, ab 62 Jahren in Rente gehen. Ein Akademiker, welcher beispielsweise erst mit 28 Jahren in das Berufsleben einstieg, müsste entsprechend länger arbeiten, um eine volle AHV-Rente zu erhalten.

Knackpunkt dieser Idee dürfte die versicherungsmathematische Definition des Beitragsjahres sein: Was zählt als Beitragsjahr respektive wie viel Lohn muss versichert sein, damit ein Jahr als Beitragsjahr gilt? Man könnte beispielsweise vorsehen, dass nur Personen von einer verfrühten Pensionierung Gebrauch machen können, wenn sie pro Monat im Durchschnitt maximal 5000 Franken verdient haben. So könnte sichergestellt werden, dass die Option der Frühpensionierung nur bedürftigen Beitragszahlern statt Betragszahlern mit hohem Einkommen zugutekommt.

Akademiker bis 72 im Berufsleben? Nein.

Um Akademiker, welche einen späten Einstieg in das Berufsleben finden und beispielsweise erst ab 28 Jahren einer Erwerbstätigkeit nachgehen, nicht bis 72 Jahre arbeiten zu lassen, ist es denkbar,

das Modell der Lebensarbeitszeit mit einem an die Lebenserwartung gekoppelten Referenzalter von 66 Jahren zu kombinieren. Das heisst: Ein Akademiker, welcher erst mit 28 Jahren in das Berufs- leben einstieg, müsste nicht bis 72 Jahre arbeiten, sondern könnte den Ruhestand bereits mit 66 Jahren antreten.

Keine gute Idee: Erhöhung von Abgaben und Steuern

Eine weitere schnell wirkende – und deshalb in der Politik beliebte – Möglichkeit der Stabilisierung stellt die Erhöhung von Abgaben und Steuern dar. So entfaltete beispielsweise das im Jahr 2019 von der Stimmbevölkerung angenommene Referendum Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF), das eine Erhöhung der Lohnabzüge vorsah, bereits im Folgejahr seine Wirkung.

Bereits heute sind Personen mit Teilzeit-Pensen in der beruflichen Vorsorge unabhängig des Geschlechts nur sehr schlecht versichert. Um diesen Erwerbsbiografien eine bessere BVG-Rente zu ermöglichen, gilt es, den Koordinationsabzug zu senken. Um die Beitragsunterschiede zwischen jüngeren und älteren Versicherten zu verringern, gilt es weiter, die Altersgutschriften anzupassen und zukünftig weniger stark zu staffeln.

Für den Fall der Fälle: Eine AHV-Schuldenbremse

Um einen weiteren Reformstillstand – wie wir ihn während des vergangenen Vierteljahrhunderts er- lebt haben – zu verhindern, braucht es einen Automatismus, um die Auszahlung der Renten der 1. Säule sicherzustellen, sollte sich die Politik nicht zu einer Lösung durchringen können.

Eine Möglichkeit stellt eine AHV-Schuldenbremse dar: Fällt der AHV-Fonds, welcher von Gesetzes wegen nicht unter den Betrag einer Jahresausgabe sinken darf, in den Prognosen der kommenden zehn Jahre unter 90 Prozent einer Jahresausgabe, wird das Rentenalter ab dem Folgejahr der Veröffentlichung der Prognose in Dreimonateschritten so weit angehoben, bis der AHV-Fonds wieder eine ganze Jahresausgabe beträgt.

Bessere Absicherung von Teilzeitpensen

Gleichzeitig zu den Bestrebungen in der 1. Säule unserer Altersvorsorge gilt es, das BVG zu reformieren, um die von der Gegenseite der AHV 21 hervorgebrachten Rentenlücke in der 2. Säule effektiv anzugehen. Eine zielführende politische Debatte hierzu sollte jedoch darauf Acht geben, dass sie die Reformbestrebungen in den beiden Säulen nicht vermischt.

Fazit

Nach dem 25-jährigen Reformstillstand in der 1. Säule muss uns wieder bewusstwerden, dass die AHV ein fortlaufendes Projekt ist. Allein in den ersten knapp 50 Jahren ihres Bestehens wurde sie elfmal reformiert; das ergibt einen Reformtakt von unter fünf Jahren. In diesem Sinne: Packen wir die nächste Reform an und entschärfen wir die tickende demografische Zeitbombe.

Unabhängig ihrer schnellen Wirkung sind Abgaben- und Steuererhöhungen nicht nachhaltig und nicht erstrebenswert. Sie alimentieren die AHV zwar mit weiteren finanziellen Mitteln, berücksichtigen jedoch die strukturellen Herausforderungen – namentlich die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung – nicht. Eine nachhaltige Lösung muss unbedingt auf diese Herausforderungen eingehen und langfristig wirkende Massnahmen beinhalten.

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