Realistische Utopien für die Schweiz

Es gilt das gesprochene Wort.

Der Schweizer Nationalfeiertag ist ein guter Tag, um unsere grosse Dankbarkeit für die Leistungen und Errungenschaften unserer Vorfahren auszudrücken. So gross mein Dank für das Geleistete ist, bleibt dies der einzige Satz meiner heutigen Rede, welcher die Vergangenheit betrifft.

Ich finde es viel wichtiger, dass wir uns an unserem Nationalfeiertag mit der Zukunft unseres Landes auseinandersetzen, denn Vergangenheit ist Geschichte, die wir nicht ändern können, auf deren Basis wir aber die Zukunft gestalten müssen. Wenn man dies tut, muss man Visionen, ja auch Utopien haben, gleichzeitig aber realistisch bleiben. Unsere Zukunft ist kein Wunschkonzert, aber wir alle können dazu beitragen, dass wir auf Grund unserer Erfahrungen und Geschichte Fehler vermeiden, das Gemeinsame ins Zentrum stellen und schauen, dass wir nicht eine Zukunft für Einzelne machen, sondern eine Zukunft, in der sich möglichst alle aufgehoben fühlen.

Ich möchte das anhand von fünf Beispielen aufzeigen.

Zuallererst geht es um genügend Strom. Damit die Stromversorgung in Zukunft sichergestellt sein wird, gibt es ganz eindeutig kein entweder oder. Nicht eine Stromquelle, die alle Probleme löst, und auch keine stromerzeugenden Technologien, die verbannt werden müssen. Entscheidend ist, dass die ganze weitere Entwicklung auf dem Grundsatz beruht, dass wir den steigenden Bedarf möglichst umweltfreundlich abdecken können. Denn um den Bedarf im Jahr 2050 decken zu können, müssen wir – wenn wir die bestehenden Kernkraftwerke, die in naher Zukunft vom Netz gehen werden, abziehen – unsere heutige Stromproduktion verdoppeln.

Wenn man die Entwicklungen der letzten 20 Jahre anschaut, verstehe ich beim besten Willen nicht, wie es heute ernsthaft noch Personen geben kann, die mögliche stromerzeugende Technologien kategorisch ausschliessen. In den letzten 20 Jahren haben sich die Technologien so dramatisch geändert, dass man sagen kann: Das Schlimmste in der Energie- und Strompolitik sind Denkverbote oder reine Ideologie.

Wir brauchen nun einen raschen Zubau aller stromerzeugenden Technologien, welche erprobt sind. Erneuerbare Energien spielen da eine wichtige Rolle. Insbesondere, wenn wir es schaffen, diese Energie zu speichern und dann zu verwenden, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. So oder so müssen wir aber einen Zubau von so genannter Bandenergie haben, also die Art von Energie, welche konstant den Grundbedarf decken kann. Die Bewilligungsverfahren für neue Grossanlagen aller Art müssen beschleunigt werden, um die Stromnachfrage der Schweizer Bevölkerung decken zu können. Denn 2050 ist schon bald. Deshalb soll diese Zukunftsvision bald Realität werden und nicht zur Utopie verkommen.

Schaffen wir nicht schnell neue Stromquellen, laufen wir Gefahr, dass der Strom immer teuer wird. Im schlimmsten Fall wird Strom zum Luxusgut oder gar nicht mehr erhältlich, was einem Blackout gleichkommt. Soweit darf es auf keinen Fall kommen.

Die grossen Energiefirmen sind nun zusammen mit der Politik in der Verantwortung, wenn nicht sogar in der Pflicht, einen realistischen Weg aufzuzeigen, wie die Nachfrage der Schweizer Bevölkerung nach Strom n Zukunft gedeckt werden kann. Geht uns das Licht aus, wird dies zu grossen Kollateralschäden führen.

Zweitens: Die Migration. Ist es eine Utopie, sich vorzustellen, in einer 9 Millionen Schweiz zu leben? Ohne unser Land zuzubetonieren. Ohne steigende Staustunden. Und ohne soziale Konflikte zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Ich denke nicht, dass das eine Utopie ist. Aber nur, wenn man in diesem emotionalen Thema die verschiedenen Herausforderungen auseinanderhält. Mittel- und langfristig darf deshalb das Asylthema nicht mit der Migration vermischt werden.

Die Schweiz kann und soll eine bestimmte Zahl an ausgewiesenen Flüchtlingen aufnehmen. Diese Zahl wird meiner Meinung nach – auch langfristig – nicht höher sein als heute mit allen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern, sondern eher auf dem Niveau vor dem russischen Überfall auf die Ukraine sein.

Für die Zukunft wird entscheidend sein, dass im Asylbereich die betroffenen Menschen nicht als Problem angeschaut werden, sondern dass wir uns bewusst sind, dass wir uns unserer humanitären Verpflichtung weder entziehen können noch entziehen wollen. Es muss uns auch gelingen, dass die Menschen, welche in der Schweiz sind, sich möglichst rasch und gut integrieren. Wir tun dies vor allem, indem wir sie in den Arbeitsmarkt integrieren und an diesem partizipieren lassen. Arbeit ist sinnstiftend, gibt eine Struktur in den Tag und hilft, den eigenen Lebensunterhalt selbständig zu finanzieren. Das stärkt das Selbstbewusstsein.

Nochmals: Der Asylbereich muss gesondert von der allgemeinen Migration und mit der Frage, wie viele Menschen in 20 Jahren in der Schweiz leben können, betrachtet werden.

Die Akquirierung von genügend gut qualifizierten Fachleuten ist heute die grösste Sorge von Schweizer Firmen und wird in Zukunft noch verstärkt. Bevor wir in diesem Zusammenhang über die Migration sprechen, sollten wir zuallererst das Potenzial im Inland ausschöpfen und uns darum bemühen, dass alle in der Schweiz, die arbeiten wollen, dies auch können. Eine Massnahme ist dabei die Einführung der Individualbesteuerung, so dass zusätzliche Arbeit nicht mit höheren Steuersätzen bestraft wird.

Aber: Der Fachkräftemangel wird trotz Aktivierung des inländischen Potenzials das Leitmotiv unserer Migrationspolitik sein. Davon bin ich überzeugt. Denn in den nächsten Jahren werden so viele Menschen in Pension gehen, dass ein Teil der Stellen von Personen aus dem Ausland besetzt werden müssen. Ansonsten lässt sich unser heutiger Wohlstand nicht erhalten. Das wird wohl oder übel zu einer 9 Millionen Schweiz führen, vielleicht auch mehr. Aber nicht zu einer Schweiz, die nicht mehr für die Bevölkerung und Natur verträglich wäre. Denn wir brauchen eine Migrationspolitik, die im Interesse der Schweiz ist.

Wir kommen zum dritten Thema: Unsere Sicherheit.  Wir hatten das Gefühl, wir können die Kosten der Landesverteidigung als ideales Sparelement der Bundesfinanzen benützen und gleichzeitig auf eine internationale Zusammenarbeit verzichten. Dass an dieser Lebenslüge rechts und links trotz Ukrainekrieg je zur Hälfte noch festgehalten wird, ist absolut unverständlich. Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass wir unsere Armee in den nächsten 20 Jahren sinnvoll und gezielt – insbesondere in der Einsatzfähigkeit und hinsichtlich der Ausrüstung – stärken müssen, der spielt absichtlich und äusserst fahrlässig mit der Sicherheit der Bevölkerung.

Und wer auf der anderen Seite glaubt, wir können das einzige Land in Europa sein, das die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung ohne Kooperation erreichen kann, der lügt die Bevölkerung direkt an. Man denke beispielsweise an die Nachtübungsflüge der Schweizer Luftwaffe im britischen Nato-Gebiet. Ohne Kooperation könnten diese nicht durchgeführt werden, was die Schlagkraft unserer Luftverteidigung deutlich schmälern würde.

Wir tun also gut daran, in die Armee und damit in unsere Sicherheit zu investieren und die Versäumnisse der letzten Jahre konsequent korrigieren. Unsere Armee soll die Schweiz am Boden, in der Luft und im Netz schützen können. Und im Falle eines Angriffs tut sie das am besten, wenn sie mit internationalen Partnern kooperieren kann. Das beginnt zum Beispiel damit, dass wir uns in der Beschaffung von Waffen und Abwehrsystemen besser international abstimmen und – wie bereits erwähnt – die Voraussetzung zur Kooperation schaffen.

Die Schweiz soll auch in Zukunft neutral und bündnisfrei sein. Das hindert uns aber nicht daran, Kooperationen im Sinne unserer Sicherheit auszubauen.

Ein Herzensanliegen von mir ist die Bildung, auf welche ich als viertes Beispiel eingehen will. Weil ich den Verband der Absolventinnen und Absolventen der Schweizer Fachhochschulen präsidieren darf, will ich mich heute auf diesen Bereich konzentrieren. Meine Vision für die Fachhochschulen in der Schweiz ist, dass sie bald einmal gleichwertig wie universitäre Hochschulen sind. Das heisst, dass sie nicht nur einen Bachelor und Masterstudiengang anbieten können, sondern auch ein Doktoratsstudium möglich sein wird. Dies nicht, weil wir in der Schweiz unbedingt mehr «Studierte» brauchen. Sondern vielmehr deshalb, weil auch die Fachhochschulen die Möglichkeit erhalten sollen, ihr eigenes Personal auszubilden, um dieses nicht nur an den Universitäten rekrutieren zu müssen.

Die Fachhochschulen haben auch eine wichtige Rolle, wenn es um die Durchlässigkeit im Bildungssystem geht. Je durchlässiger es ist, desto eher ist ein sozialer Aufstieg in der Schweiz möglich. Die Zusammenarbeit zwischen der Berufsbildung und den Fachhochschulen muss verbessert werden, so dass der Weg vom Beruf an die Hochschule erleichtert wird. Da die Bedeutung des lebenslangen Lernens stets zunimmt, sollen auch Personen die Möglichkeit eines FH-Studiums erhalten, die sich bisher vor allem beruflich und an höheren Fachschulen weitergebildet haben. Die Fachhochschulen haben das einzigartige Profil, dass sie Praxis und Theorie miteinander verbinden. Wir sollten ihnen mehr zutrauen, um sicherzustellen, dass der soziale Aufstieg in der Schweiz keine Utopie wird.

Eine wichtige Aufgabe übernehmen dabei alle Betriebe, welche Lernende ausbilden. Sie tun dies alle freiwillig, weil sie in unserer Jugend die Zukunft sehen. Wir tun gut daran, wenn wir gerade für kleine und mittlere Betriebe schauen, dass die Bürokratie nicht immer mehr zunimmt. Denn das duale Berufsbildungssystem lebt davon, dass auch kleinere Betriebe die Ressourcen und Möglichkeiten haben, Lernende auszubilden.

So sehr es das Wirken im Kleinen im Konkreten braucht, so entscheidend ist es auch, dass wir gross Denken. Unsere Hochschulen sind darauf angewiesen, dass sie mit anderen europäischen Hochschulen ihre Forschungstätigkeit koordinieren können. Unsere Studierenden profitieren sehr davon, wenn sie während dem Studium für ein halbes oder ganzes Jahr die Schweiz verlassen und im Ausland neue Luft schnuppern können. Gute, geregelte und partnerschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarländern und der Europäischen Union sind dabei von grosser Bedeutung.

Zum Schluss komme ich auf zu meiner Vision, wie wir in Zukunft miteinander umgehen. Ich bin geprägt von meinem Berner Politalltag und habe in den 4 Jahren folgende Erfahrungen gemacht:

1. Man redet möglichst übereinander und nicht miteinander.

2. Man glaubt, wenn man schlecht über andere spricht, steht man selbst besser da.

3. Und man kommuniziert möglichst mit denen, die man schon lange kennt. Man überspringt weder den Sprachgraben noch den Graben der persönlichen und politischen Herkunft.

Das ist die Realität. Was ich will, ist in allen drei Punkten das Gegenteil! Meine Vision ist eine Schweiz, in welcher man lehrt, miteinander und nicht übereinander zu reden. Meine Vision für die Schweiz ist, dass man die Stärken der anderen betont und versucht, die eigenen Schwächen zu überwinden. Und meine Vision für die Schweiz ist ein Land, wo das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Miteinander keine Sage aus dem Geschichtsunterricht ist, sondern eine Realität, welche Gräben zuschüttet und Grenzen überwindet. In diesem Sinne stosse ich mit Ihnen auf unsere Schweiz und meine Visionen an!

Vielen Dank. 

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